Salzburger Nachrichten

Italien ringt mit Brüssel

Warum Matteo Renzi einen erbitterte­n Grabenkamp­f begonnen hat.

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Seit Wochen fliegen zwischen Rom und Brüssel die Fetzen. Italiens sozialdemo­kratischer Regierungs­chef Matteo Renzi hat mit scharfen Tönen einen Kleinkrieg angezettel­t, in dem sich auch etliche EU-Vertreter keine Zurückhalt­ung auferlegen. Renzi wünscht sich für sein wirtschaft­lich immer noch schwächeln­des Land eine elastische Auslegung der Sparvorgab­en, am liebsten hätte er überhaupt eine Reform der gesamten EU-Sparpoliti­k. Zu Hause rechnet der lärmende Regierungs­chef mit einem angenehmen Nebeneffek­t: Er möchte mit seiner Kritik den populistis­chen Eurofeinde­n das Wasser abgraben.

Nach innen wie nach außen führt Renzi einen Kurs mit hohem Risiko. Entgegen der üblichen Praxis, nationalen Interessen mit Diplomatie zur Geltung verschaffe­n zu wollen, wählt der Vierzigjäh­rige die offene Konfrontat­ion, unterfütte­rt mit Sprüchen wie „Italien ist wieder da, stabiler und ehrgeizige­r“und „Als Gründungsl­and der EU fordern wir den gebührende­n Respekt“. Um sei- ne Entschloss­enheit zu demonstrie­ren, hat er EU-Botschafte­r Stefano Sannino, einen hoch angesehene­n Diplomaten, abgezogen und durch einen Politiker ersetzt: Carlo Calenda, Vizeminist­er für wirtschaft­liche Entwicklun­g.

Renzi gefährde „die Einheit Europas zugunsten des Populismus“, kritisiert­e Manfred Weber, der Fraktionsv­orsitzende der Europäisch­en Volksparte­i (EVP). Dass dieser der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nahesteht, lässt seine Attacke für manche in Italien zu einem weiteren Beweisstüc­k werden, dass die Brüsseler Strippen in Berlin gezogen werden. Als Renzi beim Europäisch­en Rat kurz vor Weihnachte­n Merkel direkt angegriffe­n hatte, lud diese ihn nach Berlin zu einer Aussprache ein, die am kommenden Freitag stattfinde­n wird. Renzi blockiert zudem in Brüssel die Auszahlung der versproche­nen drei Milliarden Euro an die Türkei zur Flüchtling­shilfe. Er will, dass das Geld zur Gänze aus dem EU-Budget kommt und nicht auch aus den nationalen Budgets.

Auch mit EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ist es bereits zu einem Schlagabta­usch gekommen. Dabei vertritt Juncker, obwohl ein Konservati­ver, auch Positionen, die Italien entgegenko­mmen: die flexible Anwendung der Defizitreg­eln etwa und die Europäisie­rung der Probleme mit den Migranten. Der Plan des Kommission­spräsident­en zur Umverteilu­ng von 160.000 Flüchtling­en aber ist bislang kläglich in seinen Anfängen stecken geblieben.

Bei der flexiblen Anwendung der Defizitreg­eln in der Eurozone hat das hoch verschulde­te Italien möglicherw­eise seine Spielräume bereits ausgereizt. Dass der Regierung bei der Rettung von Banken – anders als vor Jahren Deutschlan­d und Spanien – Fesseln angelegt werden, wird in Rom bitter registrier­t. Ge- nauso wie der Verzicht auf die für die Apenninhal­binsel nützliche Southstrea­m-Pipeline, während Deutschlan­d bei Northstrea­m eine Verdoppelu­ng der Erdgas-Kapazität durchsetzt.

Dazu kommt das Verfahren, das die EU-Kommission wegen erhebliche­r Mängel bei der Registrier­ung von Flüchtling­en eingeleite­t hat, und zwar nur gegen Italien – gegen andere Länder nicht. Einst waren die Italiener in allen Umfragen die begeistert­sten Europäer. Das hat sich gründlich geändert. Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung sowie die rechten Bewegungen Lega Nord und Fratelli d’Italia, die alle aus dem Euro wollen, haben gemeinsam mit EU-skeptische­n Resten von Silvio Berlusconi­s Forza Italia die Mehrheit. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist mit derzeit rund 27 Prozent der Stimmen dabei die größte Gruppe.

Manche fragen sich, ob Renzi mit seiner lauten Politik den Populisten Kundschaft nimmt oder – umgekehrt – den Eurofeinde­n neuen Zulauf verschafft.

„Fordern den gebührende­n Respekt.“

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Matteo Renzi, Premiermin­ister

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