Immer der Nase nach
Unser Geruchssinn droht zu verkümmern, warnt der Künstler und Duftdesigner Paul Divjak.
WIEN. „Wir schenken unseren Nasen viel zu wenig Aufmerksamkeit“, sagt Paul Divjak. Und der Duftdesigner dürfte damit recht haben. Unsere Kultur ist von Bildreizen geprägt. Für Geräusche, die uns umgeben, sind wir schon weniger sensibilisiert. Schlecht jedoch ist es laut dem Wiener Autor, Künstler und Duftdesigner um unsere Geruchswahrnehmung bestellt: „Wir denken nur mehr im Gegensatzpaar: Riecht gut – stinkt. Präzisere Auseinandersetzungen finden kaum jemals statt.“
Der Trend geht in Richtung Geruchsvermeidung. „Das geht auch mit dem Trend zur Ganzkörperepilation einher“, erläutert Divjak. „Wo sich die zersetzenden Moleküle nicht entfalten können, entsteht kein Geruch.“Folglich verschwinde der Eigengeruch. „Vor lauter Kaschierung wird es immer schwieriger, den Körpergeruch eines geliebten Menschen wahrzunehmen.“
In seinem neuen Buch „Der Geruch der Welt“hält der derzeit an der Universität Bangkok forschende Divjak ein Plädoyer für den bewussten Einsatz unserer Nasen. Während wir unseren Eigengeruch nach und nach verlieren, arbeiten Unternehmen und Hotelketten an künstlichen Geruchatmosphären, die uns umschmeicheln sollen, damit wir uns beim Geldausgeben gut fühlen. „Ich gehe davon aus, dass das, was uns im Akustischen als Fahrstuhlmusik eingelullt hat, in den nächs- ten fünf bis zehn Jahren im Olfaktiven auf uns zukommen wird“, stellt der Experte fest.
Über Gerüche lässt sich aber mehr vermitteln als diffuses Wohlempfinden. Düfte können in bestimmte Stimmungen versetzen, Erinnerungen wachrufen und sogar Geschichten erzählen. Das zeigen Divjaks eigene Duftinstallationen. Den Wiener Club Pratersauna hat er – frei nach den Beatles – in ein fruchtig duftendes Erdbeerfeld verwandelt. Für das Jüdische Museum Hohenems erstellte er einen Parcours durch die Geruchswelt des Nahen Ostens.
Auch die Frage, wie es früher gerochen hat, beschäftigt ihn. Für die Wanderausstellung „Kingdom of Salt“des Naturhistorischen Museums hat er mit der Expertin Elke Kies die Gerüche verschiedener Epochen rekonstruiert.
Bei den Recherchen zu seinem Buch hat er 150 Personen nach ihren Lieblingsgerüchen befragt. An erster Stelle fand sich mit Abstand der Geruch nach frisch geschnittenem Gras. Darauf folgten Gerüche, die mit der Großmutter verbunden sind – ihre nach Essen duftende Küche oder Schürze.
Es gibt Menschen mit absolutem Gehör – begreift sich Paul Divjak in Analogie dazu als „Supernase“? „Ich weiß nicht, was eine Durchschnittsnase riecht, weil wir uns kaum darüber austauschen, was und wie intensiv wir riechen. In manchen Situationen sehne ich mich freilich nach weniger Geruchssensibilität. Zumeist aber betrachte ich diese Fähigkeit als das, was sie ist: ein ungemein bereicherndes Geschenk der Weltwahrnehmung.“
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