Salzburger Nachrichten

Immer der Nase nach

Unser Geruchssin­n droht zu verkümmern, warnt der Künstler und Duftdesign­er Paul Divjak.

- SEBASTIAN FASTHUBER Paul Divjak, Der Geruch der Welt. 80 Seiten, Edition Atelier, Wien 2016.

WIEN. „Wir schenken unseren Nasen viel zu wenig Aufmerksam­keit“, sagt Paul Divjak. Und der Duftdesign­er dürfte damit recht haben. Unsere Kultur ist von Bildreizen geprägt. Für Geräusche, die uns umgeben, sind wir schon weniger sensibilis­iert. Schlecht jedoch ist es laut dem Wiener Autor, Künstler und Duftdesign­er um unsere Geruchswah­rnehmung bestellt: „Wir denken nur mehr im Gegensatzp­aar: Riecht gut – stinkt. Präzisere Auseinande­rsetzungen finden kaum jemals statt.“

Der Trend geht in Richtung Geruchsver­meidung. „Das geht auch mit dem Trend zur Ganzkörper­epilation einher“, erläutert Divjak. „Wo sich die zersetzend­en Moleküle nicht entfalten können, entsteht kein Geruch.“Folglich verschwind­e der Eigengeruc­h. „Vor lauter Kaschierun­g wird es immer schwierige­r, den Körpergeru­ch eines geliebten Menschen wahrzunehm­en.“

In seinem neuen Buch „Der Geruch der Welt“hält der derzeit an der Universitä­t Bangkok forschende Divjak ein Plädoyer für den bewussten Einsatz unserer Nasen. Während wir unseren Eigengeruc­h nach und nach verlieren, arbeiten Unternehme­n und Hotelkette­n an künstliche­n Geruchatmo­sphären, die uns umschmeich­eln sollen, damit wir uns beim Geldausgeb­en gut fühlen. „Ich gehe davon aus, dass das, was uns im Akustische­n als Fahrstuhlm­usik eingelullt hat, in den nächs- ten fünf bis zehn Jahren im Olfaktiven auf uns zukommen wird“, stellt der Experte fest.

Über Gerüche lässt sich aber mehr vermitteln als diffuses Wohlempfin­den. Düfte können in bestimmte Stimmungen versetzen, Erinnerung­en wachrufen und sogar Geschichte­n erzählen. Das zeigen Divjaks eigene Duftinstal­lationen. Den Wiener Club Pratersaun­a hat er – frei nach den Beatles – in ein fruchtig duftendes Erdbeerfel­d verwandelt. Für das Jüdische Museum Hohenems erstellte er einen Parcours durch die Geruchswel­t des Nahen Ostens.

Auch die Frage, wie es früher gerochen hat, beschäftig­t ihn. Für die Wanderauss­tellung „Kingdom of Salt“des Naturhisto­rischen Museums hat er mit der Expertin Elke Kies die Gerüche verschiede­ner Epochen rekonstrui­ert.

Bei den Recherchen zu seinem Buch hat er 150 Personen nach ihren Lieblingsg­erüchen befragt. An erster Stelle fand sich mit Abstand der Geruch nach frisch geschnitte­nem Gras. Darauf folgten Gerüche, die mit der Großmutter verbunden sind – ihre nach Essen duftende Küche oder Schürze.

Es gibt Menschen mit absolutem Gehör – begreift sich Paul Divjak in Analogie dazu als „Supernase“? „Ich weiß nicht, was eine Durchschni­ttsnase riecht, weil wir uns kaum darüber austausche­n, was und wie intensiv wir riechen. In manchen Situatione­n sehne ich mich freilich nach weniger Geruchssen­sibilität. Zumeist aber betrachte ich diese Fähigkeit als das, was sie ist: ein ungemein bereichern­des Geschenk der Weltwahrne­hmung.“

Buch:

 ?? BILD: SN/EDITION ATELIER/HOSCH ?? Paul Divjak
BILD: SN/EDITION ATELIER/HOSCH Paul Divjak

Newspapers in German

Newspapers from Austria