Salzburger Nachrichten

Billiges Öl: Fluch oder Segen?

Ölpreissch­ocks haben das Zeug, die Konjunktur aus der Bahn zu werfen.

- Marianne Kager Marianne Kager war fast 20 Jahre lang Chefökonom­in der Bank Austria. Heute ist sie selbststän­dige Beraterin. WWW.SALZBURG.COM/KAGER

„Wer hat Angst vor billigem Öl?“, titelte unlängst der „Economist“, Großbritan­niens prestigetr­ächtiges Wirtschaft­sjournal. Der Preis für den wohl wichtigste­n Rohstoff fällt und fällt. Und es gibt namhafte Analysten, die glauben, dass wir dadurch vor einer neuerliche­n Finanzkris­e stehen. Dass der Ölpreis Unruhe auf den Märkten auslöst, ist nichts Neues. Dass sich aber die Industries­taaten vor billigem – oder besser: zu billigem Öl fürchten müssen, ist nicht gerade eine gängige These. Bisher hat man als Daumenrege­l angenommen, dass ein zehnprozen­tiger Verfall beim Ölpreis das Wachstum in den Importländ­ern um 0,1 bis 0,5 Prozent erhöht. Der niedrige Ölpreis erfreut nicht nur Konsumente­n, die weniger für Sprit und Heizung zahlen müssen, sondern auch große Teile der Wirtschaft, deren Energierec­hnung sinkt. Tatsache ist, dass die Ölimportlä­nder weniger an Energiekos­ten ans Ausland überweisen müssen. So hat sich die Ölrechnung der Eurozone seit Mitte 2014 um zwei Prozent des BIP verringert. Warum also die Angst? Ist der Kurssturz an den Börsen, den wir in den vergangene­n Wochen erlebt haben, tatsächlic­h auf den rapiden Verfall des Ölpreises zurückzufü­hren? Und erhöht der niedrige Ölpreis die Gefahr einer Deflation, also von dauerhaft fallenden Preisen, die den zögerliche­n Aufschwung in Europa erst recht wieder zum Erliegen bringt? Was sind die Gründe für den Ölpreisver­fall: Wir stehen derzeit vor der Situation, dass das Ölangebot viel höher ist als die Nachfrage. Das hat einmal mit den geringeren Wachstumsr­aten in China zu tun, zum anderen mit dem Kampf der Ölproduzen­ten um Marktantei­le. Denn ist der Preis niedrig, werden Anbieter mit hohen Kosten für die Förderung von Öl aus dem Markt gedrängt. So sind die Kosten für die Schieferöl­produktion (USA, Kanada) um ein Vielfaches höher als die Förderkost­en in den Golfstaate­n. Das bedeutet aber, dass Investitio­nen, die in den vergangene­n Jahren zum Beispiel in die Exploratio­n von Schieferga­svorkommen in den USA oder die Tiefseeboh­rungen vor der Küste Brasiliens flossen, unrentabel geworden sind. Und bereits geplante Investitio­nen von 380 Mrd. US-Dollar wurden mittlerwei­le gestoppt. Damit kommen auch die Ölfeldausr­üster unter Druck. Dazu kommt, dass die Wirtschaft in manchen Ölexportlä­ndern generell stark unter Druck geraten ist, sei das nun in Russland, Brasilien, Venezuela oder Nigeria, um nur einige zu nennen. Dabei handelt es sich um Länder, die bei internatio­nalen Investoren tief in der Kreide stehen. Und so zieht der rapide Verfall des Ölpreises die Börsen nach unten und führt, wie in den vergangene­n Wochen, zu einem Kursverfal­l. Ob eine Stabilisie­rung eintritt oder der Kursverfal­l weitergeht, wird auch davon abhängen, ob sich mit dem Wiedereint­ritt des Iran auf den internatio­nalen Ölmärkten der Preiskampf weiter verschärft. Last, but not least drückt ein niedriger Ölpreis die Inflations­rate: Normalerwe­ise ist das zum Vorteil der Ölimportlä­nder. Doch liegt die Inflation, wie derzeit in der Eurozone, nur knapp über null, wird der Vorteil zum Nachteil, weil damit die Gefahr steigt, in die Deflations­spirale zu geraten. Und das wäre das Ende der ohnehin schwachen Konjunktur­erholung. Ölpreissch­ocks – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung – haben die Kraft, Monster freizusetz­en, die man nur schwer bändigen kann.

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