Die vergessene Grenze Europas
Wenn die Flüchtlingsroute über den Westbalkan blockiert wird, könnten die Asylsuchenden über Bulgarien kommen. Dort bereitet man sich mit Stacheldraht auf einen möglichen Flüchtlingsstrom vor. Ein Bericht vom Rande Europas.
SOFIA. Der Willkommensgruß ist umgeben von Stacheldraht. Rasiermesserscharf, verzinkt glitzert der Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei in der Wintersonne. Daneben steht: „Schön willkommen in Bulgarien!“Die Botschaft richtet sich nicht an Menschen wie Eli Said. Der 24-jährige Flüchtling ist trotzdem gekommen.
Der junge Syrer ist eine Ausnahme. Die wenigsten der Flüchtlinge, die in Bulgarien in die EU kommen, wollen in dem Land bleiben. Die meisten gehen weiter nach Westeuropa. Der Großteil der Flüchtlinge jedoch versucht, über Griechenland und den Westbalkan in die EU zu gelangen. Dass sich das schnell ändern kann, zeigte sich im August 2013. Statt 1000 Asylbewerbern im Jahr suchten plötzlich 100 Menschen pro Tag um Asyl an. Bulgarien begann den Bau eines 3,5 Meter hohen Grenzzauns mit EU-Hilfe. Heute ist der Zaun knapp 30 Kilometer lang, 150 Kilometer sind geplant. Zumindest die 240 Kilometer zur Türkei sollen so möglichst dicht gemacht werden.
Said ist noch über den alten Zaun geklettert. „Er war nur aus Ma- schendraht, kein Problem“, sagt er und lacht. Vor sechs Monaten ist er mit seinem Bruder aus Syrien aus der Stadt Al-Hasaka nahe der türkischen Grenze geflohen. „Ich wollte nicht weg, ich habe so lang wie möglich gewartet, ob der Krieg in die Stadt kommt“, sagt der 24-Jährige. Der Krieg kam, Said schloss seinen Friseurladen, schnappte seinen Bruder und floh. „Die Schlepper haben gesagt, nach Bulgarien kommst du leicht.“1800 Euro zahlte er dem Schlepper, der ihn durch den Grenzwald zwischen der Türkei und Bulgarien führte. Said ist seitdem als anerkannter Flüchtling in Sofia untergebracht, besucht einen Bulgarischkurs und sucht eine Wohnung. Die Schulung wird von der Caritas Bulgarien in einer Plattenbauwohnung in der Hauptstadt Sofia organisiert. Staatliche Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge gibt es nicht.
Geld wird vor allem in den Bau des Zauns gesteckt. Laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) haben bereits 2014 rund 400.000 Menschen versucht, nach Bulgarien zu kommen. 6000 haben es geschafft. Aus Sicht der bulgarischen Regierung läuft der Grenzschutz erfolgreich. Am Grenzübergang bei der Stadt Malko Tarnovo liegen Eisenträger und Stacheldrahtrollen bereit. Der kleine Grenzübergang auf dem windigen Pass Richtung Istanbul wird zur Hochsicherheitsanlage. Mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten sichern den Checkpoint. Die Einzigen, die sich hier frei bewegen dürfen, sind Straßenhunde.
Mitten im Niemandsland steht Sevdalina Gradeva. In ihrem grellgelben Parka leuchtet sie zwischen Grenzposten, Wachturm und den Beamten hervor. Sie koordiniert für die Caritas Bulgarien das „Border Monitoring Team“. Diese Gruppe von Helfern versorgt Flüchtlinge, die aufgegriffen wurden, mit dem Notwendigsten. Decken, Bekleidung, Windeln. Zu Hilfe gerufen wird die ältere Dame von der Grenzpolizei. Das alles passiert inoffiziell. „Wir werden von der Regierung nicht als Organisation anerkannt.“
Dass das laut UNO ärmste EULand die Flüchtlinge nicht will, ist ein offenes Geheimnis und: „Die Flüchtlinge wollen nicht in Bulga- rien bleiben“, sagt Gradeva. Laut der Menschenrechtsanwältin Iliana Savova gibt es in dem EU-Land keine ausreichende Rechtsberatung in Asylverfahren, keine Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Zurückweisungen an der Grenze. „Wenn bulgarische Polizisten Flüchtlinge sehen, rufen sie türkische Kollegen zu Hil- fe. Asylsuchende werden wieder in die Türkei geholt und können somit in Bulgarien nicht um Asyl ansuchen“, erklärt die Asylanwältin. „Das ist eine Verletzung der Menschenrechte.“
Über die Situation von Flüchtlingen beschweren sich in Bulgarien sonst wenige. Gegenüber den Medien schon gar nicht. „Alles in Ordnung“, sagt etwa der Generalsekretär der bulgarischen Caritas, Emanouil Patashev. Die Zivilgesellschaft in Bulgarien sei von der Re- gierung zu abhängig, um gegen sie zu protestieren, erklären politische Beobachter solche Aussagen.
UNHCR, Menschenrechtsorganisationen und die EU-Kommission kritisieren die Flüchtlingsbetreuung in Bulgarien. Deutschland schiebt keine Flüchtlinge mehr in das Land am Schwarzen Meer ab. Die EU will 160.000 Flüchtlinge unter den Mitgliedsstaaten verteilen. 1302 sollen nach Bulgarien kommen. Doch es sei schwer, Flüchtlinge davon zu überzeugen, nach Sofia zu fliegen, hört man in EU-Kreisen. „Ohne vergleichbare Verfahren und Versorgung wird kein Verteilungsschlüssel funktionieren“, sagt der österreichische Caritas-Präsident Michael Landau.
„Noch fühle ich mich wohl in Bulgarien“, sagt der syrische Flüchtling Said. Er sei in Sicherheit. „Noch.“Wenn er aus dem Klassenzimmer seines Bulgarischkurses sieht, blickt er auf ein mannshohes Hakenkreuz an der Wand des Plattenbaus gegenüber.
„Flüchtlinge wollen nicht in Bulgarien bleiben.“
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