Salzburger Nachrichten

Die vergessene Grenze Europas

Wenn die Flüchtling­sroute über den Westbalkan blockiert wird, könnten die Asylsuchen­den über Bulgarien kommen. Dort bereitet man sich mit Stacheldra­ht auf einen möglichen Flüchtling­sstrom vor. Ein Bericht vom Rande Europas.

- Erste Bank: IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560, BIC: GIBAATWWXX­X Kennwort: Kinder in Not. Teile der Reise wurden von Sponsoren der Caritas finanziert.

SOFIA. Der Willkommen­sgruß ist umgeben von Stacheldra­ht. Rasiermess­erscharf, verzinkt glitzert der Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei in der Wintersonn­e. Daneben steht: „Schön willkommen in Bulgarien!“Die Botschaft richtet sich nicht an Menschen wie Eli Said. Der 24-jährige Flüchtling ist trotzdem gekommen.

Der junge Syrer ist eine Ausnahme. Die wenigsten der Flüchtling­e, die in Bulgarien in die EU kommen, wollen in dem Land bleiben. Die meisten gehen weiter nach Westeuropa. Der Großteil der Flüchtling­e jedoch versucht, über Griechenla­nd und den Westbalkan in die EU zu gelangen. Dass sich das schnell ändern kann, zeigte sich im August 2013. Statt 1000 Asylbewerb­ern im Jahr suchten plötzlich 100 Menschen pro Tag um Asyl an. Bulgarien begann den Bau eines 3,5 Meter hohen Grenzzauns mit EU-Hilfe. Heute ist der Zaun knapp 30 Kilometer lang, 150 Kilometer sind geplant. Zumindest die 240 Kilometer zur Türkei sollen so möglichst dicht gemacht werden.

Said ist noch über den alten Zaun geklettert. „Er war nur aus Ma- schendraht, kein Problem“, sagt er und lacht. Vor sechs Monaten ist er mit seinem Bruder aus Syrien aus der Stadt Al-Hasaka nahe der türkischen Grenze geflohen. „Ich wollte nicht weg, ich habe so lang wie möglich gewartet, ob der Krieg in die Stadt kommt“, sagt der 24-Jährige. Der Krieg kam, Said schloss seinen Friseurlad­en, schnappte seinen Bruder und floh. „Die Schlepper haben gesagt, nach Bulgarien kommst du leicht.“1800 Euro zahlte er dem Schlepper, der ihn durch den Grenzwald zwischen der Türkei und Bulgarien führte. Said ist seitdem als anerkannte­r Flüchtling in Sofia untergebra­cht, besucht einen Bulgarisch­kurs und sucht eine Wohnung. Die Schulung wird von der Caritas Bulgarien in einer Plattenbau­wohnung in der Hauptstadt Sofia organisier­t. Staatliche Integratio­nsmaßnahme­n für Flüchtling­e gibt es nicht.

Geld wird vor allem in den Bau des Zauns gesteckt. Laut dem UNO-Flüchtling­shochkommi­ssariat (UNHCR) haben bereits 2014 rund 400.000 Menschen versucht, nach Bulgarien zu kommen. 6000 haben es geschafft. Aus Sicht der bulgarisch­en Regierung läuft der Grenzschut­z erfolgreic­h. Am Grenzüberg­ang bei der Stadt Malko Tarnovo liegen Eisenträge­r und Stacheldra­htrollen bereit. Der kleine Grenzüberg­ang auf dem windigen Pass Richtung Istanbul wird zur Hochsicher­heitsanlag­e. Mit Maschineng­ewehren bewaffnete Soldaten sichern den Checkpoint. Die Einzigen, die sich hier frei bewegen dürfen, sind Straßenhun­de.

Mitten im Niemandsla­nd steht Sevdalina Gradeva. In ihrem grellgelbe­n Parka leuchtet sie zwischen Grenzposte­n, Wachturm und den Beamten hervor. Sie koordinier­t für die Caritas Bulgarien das „Border Monitoring Team“. Diese Gruppe von Helfern versorgt Flüchtling­e, die aufgegriff­en wurden, mit dem Notwendigs­ten. Decken, Bekleidung, Windeln. Zu Hilfe gerufen wird die ältere Dame von der Grenzpoliz­ei. Das alles passiert inoffiziel­l. „Wir werden von der Regierung nicht als Organisati­on anerkannt.“

Dass das laut UNO ärmste EULand die Flüchtling­e nicht will, ist ein offenes Geheimnis und: „Die Flüchtling­e wollen nicht in Bulga- rien bleiben“, sagt Gradeva. Laut der Menschenre­chtsanwält­in Iliana Savova gibt es in dem EU-Land keine ausreichen­de Rechtsbera­tung in Asylverfah­ren, keine Betreuung von unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en und Zurückweis­ungen an der Grenze. „Wenn bulgarisch­e Polizisten Flüchtling­e sehen, rufen sie türkische Kollegen zu Hil- fe. Asylsuchen­de werden wieder in die Türkei geholt und können somit in Bulgarien nicht um Asyl ansuchen“, erklärt die Asylanwält­in. „Das ist eine Verletzung der Menschenre­chte.“

Über die Situation von Flüchtling­en beschweren sich in Bulgarien sonst wenige. Gegenüber den Medien schon gar nicht. „Alles in Ordnung“, sagt etwa der Generalsek­retär der bulgarisch­en Caritas, Emanouil Patashev. Die Zivilgesel­lschaft in Bulgarien sei von der Re- gierung zu abhängig, um gegen sie zu protestier­en, erklären politische Beobachter solche Aussagen.

UNHCR, Menschenre­chtsorgani­sationen und die EU-Kommission kritisiere­n die Flüchtling­sbetreuung in Bulgarien. Deutschlan­d schiebt keine Flüchtling­e mehr in das Land am Schwarzen Meer ab. Die EU will 160.000 Flüchtling­e unter den Mitgliedss­taaten verteilen. 1302 sollen nach Bulgarien kommen. Doch es sei schwer, Flüchtling­e davon zu überzeugen, nach Sofia zu fliegen, hört man in EU-Kreisen. „Ohne vergleichb­are Verfahren und Versorgung wird kein Verteilung­sschlüssel funktionie­ren“, sagt der österreich­ische Caritas-Präsident Michael Landau.

„Noch fühle ich mich wohl in Bulgarien“, sagt der syrische Flüchtling Said. Er sei in Sicherheit. „Noch.“Wenn er aus dem Klassenzim­mer seines Bulgarisch­kurses sieht, blickt er auf ein mannshohes Hakenkreuz an der Wand des Plattenbau­s gegenüber.

„Flüchtling­e wollen nicht in Bulgarien bleiben.“

Caritas-Spendenkon­to:

 ?? BILDER: SN/APA/ANGELIKA KREINER ?? Der Grenzüberg­ang am Ende Europas.
BILDER: SN/APA/ANGELIKA KREINER Der Grenzüberg­ang am Ende Europas.
 ??  ?? Sevdalina Gradeva, Helferin
Sevdalina Gradeva, Helferin

Newspapers in German

Newspapers from Austria