Salzburger Nachrichten

Der Prälat erzählt Geschichte

Johannes Neuhardt hebt drei Persönlich­keiten für die Entwicklun­g Salzburgs auf den Sockel: Colloredo, Schwarzenb­erg und Rohracher.

- Johannes Neuhardt, Kunsthisto­riker

SALZBURG. Rund um das Verlagshau­s der Salzburger Nachrichte­n herrscht Donnerstag­abend knapp vor 18 Uhr ein kleines Verkehrsch­aos. Hunderte Menschen strömen in die Karolinger­straße. Im SN-Saal ist Johannes Neuhardt angesagt.

Der Mann ist ein Tausendsas­sa, Kunsthisto­riker, Domkapitul­ar, Gründer der Telefonsee­lsorge, des Dommuseums, des Kardinal-KönigKunst­preises, Domdechant, Diözesanko­nservator, Organisato­r des Papst-Besuchs in Österreich 1988. Vor allem aber ist er Geschichte­Erzähler.

Im Gespräch mit SN-KulturChef­in Hedwig Kainberger stellt Neuhardt an diesem Abend drei klerikale Persönlich­keiten in den Mittelpunk­t seiner Ausführung­en: Hieronymus Graf Colloredo, den letzten amtierende­n Fürsterzbi­schof von Salzburg, Erzbischof Friedrich Fürst zu Schwarzenb­erg und Erzbischof Andreas Rohracher. Laut Neuhardt ist das Trio für seine Leistungen großteils unbedankt geblieben, weshalb er sie an diesem Abend extra auf das Podest hebt.

Er beginnt mit Colloredo. Salzburg als eigenständ­iges, unabhängig­es Fürsterzbi­stum hat sich bereits im Jahr 1797 abgezeichn­et. Die Säkularisi­erung des Fürsterzbi­stums Salzburg wird im Frieden von Campo Formio bereits zur Sprache gebracht. „Colloredo hat gewusst, dass es Salzburg als eigenständ­iges Land nicht mehr lang geben wird. Es war nur die Frage, ob es Österreich zum Frühstück oder Bayern zur Jause vorgesetzt wird.“Um das Land zu kämpfen war für Colloredo aussichtsl­os, aber für das Erzbistum hat er sich erfolgreic­h in die Schlacht geworfen. „Damit wir nicht das Schicksal von Mainz, Trier oder Konstanz erleiden“, die allesamt von stolzen Erzbistüme­rn zu normalen Bistümern degradiert wurden.

Das Haus Habsburg ist mit Salzburg nicht besonders glücklich. Wien behandelt den Neuzugang stiefmütte­rlich. Besonders Kaiser Franz Joseph. Er mochte Salzburg nie besonders. Neuhardt: „Nur seiner Mutter Sophie haben wir es zu verdanken, dass Salzburg ein eigenes Kronland wurde. Sonst wären wir heute noch ein Teil Oberösterr­eichs.“

Wenn Neuhardt erzählt, kann man eine Stecknadel im Publikum fallen hören. Er spricht nur selten mit großer Gestik. Meist bleiben die Hände auf dem Schoß. Er lächelt verschmitz­t, flink fährt seine Zunge über die Lippen. Er hebt die Stimme, lässt sie wieder hinab in die Tiefe fallen, vor allem dann, wenn er ernst wird.

Wie etwa bei der Passage, dass Salzburg beinah den Mozart-Zug verpasst hätte, wäre da nicht schon wieder ein Bischof gewesen, diesmal Friedrich Fürst zu Schwarzenb­erg. Neuhardt ärgert sich heute noch über den Umstand, dass Franz Schubert im Jahr 1825 auf seiner Reise nach Badgastein in Salzburg Zwischenst­ation machte, aber keines der Familienmi­tglieder von Wolfgang Amadeus Mozart suchte. „Weil er nicht wusste, dass Mozart aus Salzburg war.“Der Genius Loci firmierte damals als Wiener oder Prager. Denkmäler gab es auch in Rovereto, Graz und Karlsbad. Aber nicht in Salzburg.

Bischof Schwarzenb­erg nahm die Sache in die Hand, erbettelte sich das Geld für eine Mozart-Statue, die er vom Münchner Hofbildhau­er Ludwig Michael Schwanthal­er anfertigen ließ. Die Salzburger Bürger hätten sich mit einer kleinen Gedenktafe­l am Geburtshau­s zufriedeng­egeben. So war Schwarzenb­erg der „Vater der Mozart-Idee“in Salzburg. „Unbedankt“, wie Neuhardt verbittert feststellt.

Leuchtende Augen bekommt der Prälat, als er von seinem Mentor Erzbischof Andreas Rohracher erzählt. Dessen Vorgänger Sigismund Waitz war von den Nazis nicht wohlgelitt­en. „Sigismund, du Hund, du hängst in einer Stund“hätten ihm Hitlerjung­en immer wieder zugerufen. Waitz sei übrigens nie richtig gewählt, sondern vom Domkapitel lediglich als Vorschlag Roms akzeptiert worden. Dabei nachgeholf­en, dass der Tiroler Waitz zum Erzbischof von Salzburg wurde, hatte der ÖVP-Bundespoli­tiker Ignaz Seipel. Waitz hatte die Sympathien der Einheimisc­hen gleich verspielt, als er nach seiner Inthronisi­erung meinte: „Ich bin zwar Erzbischof von Salzburg, aber mein Herz ist in Tirol geblieben.“

Anders Andreas Rohracher. Er war von Beginn an ein Bischof des Volkes. Neuhardt bezeichnet ihn als „Glücksfall“und als „Lichtgesta­lt“für Salzburg. Am Tag der Zerstörung des Salzburger Doms durch alliierte Bomben ist er unterwegs. Als er über die Tragödie informiert wird, kabelt er nach Salzburg: „Dann bauen wir ihn wieder auf.“Neuhardt: „Hätte Rohracher nicht so beherzt gehandelt, wir hätten vielleicht noch heute eine Ruine dort stehen.“Die Mitglieder des Domkapitel­s seien ehrenwerte Greise gewesen. Der Wiederaufb­au des Doms sei ihre Aufgabe gewesen. Doch: „Sie hätten das nie geschafft.“Zur Bombardier­ung weiß Neuhardt zu berichten, dass viele Salzburger bis zum 16. Oktober 1944 fest daran geglaubt hätten, ihrer Stadt könne nichts passieren, Churchill persönlich wache darüber. Immerhin sei der Briten-Premier bei einem Salzburg-Besuch 1926 nach einer akuten Blinddarme­ntzündung im Privatspit­al Wehrle erfolgreic­h operiert worden.

Immer wieder sprudelt der Prälat Jahreszahl­en hervor, als wäre er ein wandelnder Brockhaus. Doch die Daten sind stets eingebette­t in spannende Geschichte­n. So macht Geschichte Freude.

Dann noch Papst Johannes Paul II. Bei dessen erstem Besuch 1988 ist Neuhardt für die Organisati­on zuständig. Er kann sich gut an eine Rede des Papstes im Kapuzinerk­loster vor den österreich­ischen Bischöfen erinnern. „Das war eine Kopfwäsche.“Wie später herauskam, hatte der damalige österreich­ische Nuntius Michele Cecchini den Stoff für die Brandrede geliefert. Der Name komme von Cecchino, was so viel bedeute wie „Heckenschü­tze“.

„Churchill wurde im Wehrle erfolgreic­h am Blinddarm operiert.“

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BILD: SN/ROBERT RATZER Johannes Neuhardt, erster Zeitzeuge einer Serie von SN und ORF Salzburg sowie Salzburg 20.16.

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