Dem Vizekanzler stürzt ein Satz ein
Statik ist eine heikle Sache, wenn man das Wort falsch einbaut.
Gewohnheiten sind fein. Das gibt keiner zu, aber: Sie erleichtern das Leben ungemein. Zum Beispiel im Drogeriemarkt. Da kann ich im Schlaf hingehen und finde die Zahnpaste trotzdem, weil ich seit Jahr und Tag die gleiche nehme. Eine feine Sache, dieser partielle Stillstand, der ein Triumph des Alterns ist, weil da nicht mehr immer alles neu sein muss. Wenn dann natürlich eine unheimliche Bewegung hineinkommt, kann es kritisch werden. Da muss abgewogen und dann reagiert werden auf neue Situationen. Und in so einer Lage baut dann auch einmal ein Vizekanzler ein Wort ein, dass er falsch verstanden haben muss. Kann ja passieren, weil der Überblick ja allen abhandengekommen ist, weil so viele Menschen daherkommen! Da wird’s eng. Es gerät etwas ins Wanken, an das wir uns gewöhnt haben wie an die Zahnpaste: der trügerische Zustand des Unbedenklichen. Darum warnte der Vizekanzler dieser Tage wegen der Flüchtlingszahlen: „Unsere kulturelle Statik ist durchaus gefährdet.“Und jeder, der ein Haus baut oder eine Brücke, womöglich gar einen Zaun, der weiß um die Bedeutung von Statik. Statik ist ja quasi ein anderer Begriff dafür, immer die gleiche Zahnpaste zu kaufen, quasi ewige Sicherheit. Die Statik hält alles zusammen und aufrecht. Das liegt daran, weil Statik etwas zum Stillstand bringt. So jedenfalls muss das griechische „statikos“übersetzt werden, wenn man es akkurat einsetzen will. Statik beschreibt „Kräfte in einem unbewegten System“. Mitnichten ist Statik ein Zustand. Was der Vizekanzler also sagt, ist, dass unsere Kultur ein „unbewegtes System“ist. Und dieser Tiefschlaf will also geschützt werden. Ohne der Bewegung in Kunst und Kultur aber hätten wir noch Todesstrafe und kein Besteck und schon gar keine Zahnpasta. Der Vizekanzler hat das bestimmt anders, wahrscheinlich eh gut gemeint. In alter Gewohnheit muss also erwähnt sein: „Gut gemeint“bedeutet häufig „schlecht gedacht“.