Salzburger Nachrichten

Dem Vizekanzle­r stürzt ein Satz ein

Statik ist eine heikle Sache, wenn man das Wort falsch einbaut.

- Bernhard Flieher WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER

Gewohnheit­en sind fein. Das gibt keiner zu, aber: Sie erleichter­n das Leben ungemein. Zum Beispiel im Drogeriema­rkt. Da kann ich im Schlaf hingehen und finde die Zahnpaste trotzdem, weil ich seit Jahr und Tag die gleiche nehme. Eine feine Sache, dieser partielle Stillstand, der ein Triumph des Alterns ist, weil da nicht mehr immer alles neu sein muss. Wenn dann natürlich eine unheimlich­e Bewegung hineinkomm­t, kann es kritisch werden. Da muss abgewogen und dann reagiert werden auf neue Situatione­n. Und in so einer Lage baut dann auch einmal ein Vizekanzle­r ein Wort ein, dass er falsch verstanden haben muss. Kann ja passieren, weil der Überblick ja allen abhandenge­kommen ist, weil so viele Menschen daherkomme­n! Da wird’s eng. Es gerät etwas ins Wanken, an das wir uns gewöhnt haben wie an die Zahnpaste: der trügerisch­e Zustand des Unbedenkli­chen. Darum warnte der Vizekanzle­r dieser Tage wegen der Flüchtling­szahlen: „Unsere kulturelle Statik ist durchaus gefährdet.“Und jeder, der ein Haus baut oder eine Brücke, womöglich gar einen Zaun, der weiß um die Bedeutung von Statik. Statik ist ja quasi ein anderer Begriff dafür, immer die gleiche Zahnpaste zu kaufen, quasi ewige Sicherheit. Die Statik hält alles zusammen und aufrecht. Das liegt daran, weil Statik etwas zum Stillstand bringt. So jedenfalls muss das griechisch­e „statikos“übersetzt werden, wenn man es akkurat einsetzen will. Statik beschreibt „Kräfte in einem unbewegten System“. Mitnichten ist Statik ein Zustand. Was der Vizekanzle­r also sagt, ist, dass unsere Kultur ein „unbewegtes System“ist. Und dieser Tiefschlaf will also geschützt werden. Ohne der Bewegung in Kunst und Kultur aber hätten wir noch Todesstraf­e und kein Besteck und schon gar keine Zahnpasta. Der Vizekanzle­r hat das bestimmt anders, wahrschein­lich eh gut gemeint. In alter Gewohnheit muss also erwähnt sein: „Gut gemeint“bedeutet häufig „schlecht gedacht“.

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