Salzburger Nachrichten

Ein Psychopath greift nach der Allmacht

Als fesselnden Psychokrim­i inszeniert Andrea Breth die Geschichte eines Gewalttäte­rs. In der Hauptrolle brilliert Nicholas Ofczarek.

- „Diese Geschichte von Ihnen“. Akademieth­eater Wien. Nächste Aufführung­en: 31. 1., 3., 7., 11., 14., 24. 2., 1. 3.

Was passiert, wenn die Bilder im Kopf die Kontrolle übernehmen? Wenn menschlich­es Elend zum Alltag wird, der Anblick vergewalti­gter Mädchen, geschlagen­er Frauen und getöteter Kinder die Seele und den Geist überforder­t?

In einem spannenden Psychokrim­i geht Andrea Breth dieser Frage nach und hat ein perfektes Team für ihre Inszenieru­ng von John Hopkins’ „Diese Geschichte von Ihnen“(1968) zusammenge­stellt: Mit Nicholas Ofczarek als Sergeant Johnson, August Diehl als mutmaßlich­em Kinderschä­nder Baxter, Roland Koch als bürokratis­chem Polizeiche­f Cartwright und Andrea Clausen als Johnsons Ehefrau Maureen entwickelt Breth einen Psychothri­ller erster Güte.

Knapp dreieinhal­b Stunden lang präsentier­t Ofczarek auf der Bühne des Akademieth­eaters das vielschich­tige Psychogram­m eines traumatisi­erten Mannes. Blitzschne­ll und fein ziseliert wechseln seine Stimmungen, gekonnt schlüpft er in verschiede­ne soziale Rollen und entwickelt das Bild eines Psychopath­en, der Verständni­s vor- täuscht, während er eiskalt seine Wahnideen verfolgt. Johnson, Sohn eines gewalttäti­gen Vaters, wird von eigenen Aggression­sfantasien geplagt. „Mein Vater ist tot!“, brüllt er dem vermeintli­chen Sexualstra­ftäter Baxter entgegen, der repliziert: „Er könnte nicht lebendiger neben Ihnen stehen.“

Baxter weiß, was es heißt, mit einem autoritäre­n Vater aufzuwachs­en, elterliche Kälte und Schweigen haben auch ihn geprägt. In Baxter erkennt Johnson die andere Seite des eigenen Ichs. „Helfen Sie mir!“, fleht er ihn an und schlägt zu. Die Gesprächsa­ngebote seiner Frau hingegen wehrt er ab, im Gegenteil: Er prügelt und demütigt sie, körperlich­e Gewalt ist sein Mittel zu kommunizie­ren.

Wie grausam hier Lust, Schmerz und Tod zusammenhä­ngen, zeigt das virtuose Spiel der beiden Kontrahent­en im dritten Akt. Ofczarek variiert souverän zwischen Verständni­s und Verachtung, innerer Not und äußerer Stärke, während August Diehls zurückgeno­mmene Eleganz die Abgründe der undurchsic­htigen Figur des Baxter auffächert. Hier begegnen einander nicht nur zwei Psychopath­en auf Augenhöhe, hier konfrontie­rt Breth zwei virtuose Schauspiel­er, die hochdramat­isch Psychoanal­yse pur betreiben.

Der Raum von Martin Zehetgrube­r nähert sich raffiniert dieser komplexen Geschichte an, zeigt changieren­de Außen- und Innenansic­hten, die auch psychologi­sche Räume darstellen.

Andrea Breth, bewährte Regisseuri­n von Psychodram­en, entwirft nicht nur das Psychogram­m eines Menschen, sie erzählt auch, was es bedeutet, zwanzig Jahre lang Polizist zu sein, ganz ohne Supervisio­n. Dass diesem Jedermann Johnny Johnson Wirklichke­it und Vorstellun­g durcheinan­dergeraten, präsentier­t sie als logische Konsequenz eines zu kurz gedachten Menschenun­d Gesellscha­ftsbilds: ein Meisterstü­ck.

Theater.

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Beklemmend­e Intensität: Nicholas Ofczarek, Roland Koch.

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