Ein Psychopath greift nach der Allmacht
Als fesselnden Psychokrimi inszeniert Andrea Breth die Geschichte eines Gewalttäters. In der Hauptrolle brilliert Nicholas Ofczarek.
Was passiert, wenn die Bilder im Kopf die Kontrolle übernehmen? Wenn menschliches Elend zum Alltag wird, der Anblick vergewaltigter Mädchen, geschlagener Frauen und getöteter Kinder die Seele und den Geist überfordert?
In einem spannenden Psychokrimi geht Andrea Breth dieser Frage nach und hat ein perfektes Team für ihre Inszenierung von John Hopkins’ „Diese Geschichte von Ihnen“(1968) zusammengestellt: Mit Nicholas Ofczarek als Sergeant Johnson, August Diehl als mutmaßlichem Kinderschänder Baxter, Roland Koch als bürokratischem Polizeichef Cartwright und Andrea Clausen als Johnsons Ehefrau Maureen entwickelt Breth einen Psychothriller erster Güte.
Knapp dreieinhalb Stunden lang präsentiert Ofczarek auf der Bühne des Akademietheaters das vielschichtige Psychogramm eines traumatisierten Mannes. Blitzschnell und fein ziseliert wechseln seine Stimmungen, gekonnt schlüpft er in verschiedene soziale Rollen und entwickelt das Bild eines Psychopathen, der Verständnis vor- täuscht, während er eiskalt seine Wahnideen verfolgt. Johnson, Sohn eines gewalttätigen Vaters, wird von eigenen Aggressionsfantasien geplagt. „Mein Vater ist tot!“, brüllt er dem vermeintlichen Sexualstraftäter Baxter entgegen, der repliziert: „Er könnte nicht lebendiger neben Ihnen stehen.“
Baxter weiß, was es heißt, mit einem autoritären Vater aufzuwachsen, elterliche Kälte und Schweigen haben auch ihn geprägt. In Baxter erkennt Johnson die andere Seite des eigenen Ichs. „Helfen Sie mir!“, fleht er ihn an und schlägt zu. Die Gesprächsangebote seiner Frau hingegen wehrt er ab, im Gegenteil: Er prügelt und demütigt sie, körperliche Gewalt ist sein Mittel zu kommunizieren.
Wie grausam hier Lust, Schmerz und Tod zusammenhängen, zeigt das virtuose Spiel der beiden Kontrahenten im dritten Akt. Ofczarek variiert souverän zwischen Verständnis und Verachtung, innerer Not und äußerer Stärke, während August Diehls zurückgenommene Eleganz die Abgründe der undurchsichtigen Figur des Baxter auffächert. Hier begegnen einander nicht nur zwei Psychopathen auf Augenhöhe, hier konfrontiert Breth zwei virtuose Schauspieler, die hochdramatisch Psychoanalyse pur betreiben.
Der Raum von Martin Zehetgruber nähert sich raffiniert dieser komplexen Geschichte an, zeigt changierende Außen- und Innenansichten, die auch psychologische Räume darstellen.
Andrea Breth, bewährte Regisseurin von Psychodramen, entwirft nicht nur das Psychogramm eines Menschen, sie erzählt auch, was es bedeutet, zwanzig Jahre lang Polizist zu sein, ganz ohne Supervision. Dass diesem Jedermann Johnny Johnson Wirklichkeit und Vorstellung durcheinandergeraten, präsentiert sie als logische Konsequenz eines zu kurz gedachten Menschenund Gesellschaftsbilds: ein Meisterstück.
Theater.