Salzburger Nachrichten

Kampusch, Papst und Felix Baumgartne­r

Beim Rennen um die Zuschauer sind Überraschu­ngssieger selten. Die Fußball-EM ist Favorit für die besten Quoten 2016.

- PETER PLAIKNER

WIEN. Mondlandun­g? Córdoba? Live Aid? Mauerfall? 9/11? Jede Generation hat ihre kollektive­n TV-Erinnerung­en. Österreich­s meistgeseh­ene Fernsehsen­dung der vergangene­n 25 Jahre zu erraten wäre dennoch eine finale Frage in der „Millionens­how“: 24. November 2002 – Die „Zeit im Bild 1“zu Wolfgang Schüssels Sieg (mit Andreas Khol als Kanzlersch­atten) bei der Nationalra­tswahl sahen 2,6 Millionen Menschen. So viel Ernsthafti­gkeit ist aber die Ausnahme unter den Quotenhits des Patschenki­nos: Dort überwiegen Sport und Spaß. Schon die Nr. 2 im All-Time-High des seit 1991 angewandte­n Teletests ist „Die Peter Alexander Show“aus dem gleichen Jahr – mit 2,59 Millionen Zuschauern (in memoriam 2011 waren es dann 1,22 Mill.).

Je mehr Mitbewerbe­r, desto schwierige­r sind die Rekordwert­e von einst zu überbieten. Was für den ORF insgesamt gilt, dessen Fernsehmar­ktanteil von 77 Prozent 1991 auf 33 Prozent 2015 gesunken ist, wirkt sich auf seine zugkräftig­sten Angebote aus. Doch dass ein Großteil in den letzten Jänner- und ersten Februarwoc­hen läuft, daran hat weder eine Programmre­form noch die Kanalvielf­alt etwas geändert. Durchschni­ttlich sechs der jährlichen Top Ten stammen aus dieser Zeit. 2005, 2007 und 2009 waren es sogar jeweils neun.

Auch heuer sind schon vier Fixstarter abgehakt – samt Fehlstart: Das Skispringe­n in Bischofsho­fen wird mit sechsstell­iger Seherzahl erstmals seit 2012 nicht zu den großen zehn gehören. Die Skirennen von Schladming und Kitzbühel dagegen wären mit 1,33 bis 1,54 Millionen Zuschauern eine Bank für Spitzenplä­tze, in die auch Opernball und Villacher Fasching wieder drängen – nach mäßigeren Platzierun­gen 2014 und 2015.

Der Unsicherhe­itsfaktor für die traditione­llen Quotenbrin­ger ist 2016 aber größer denn je: Denn die Fußball-EM (10. 6. bis 10. 7.) ist der programmie­rte Quotensieg­er des Jahres. Die Vorlage dafür liefern 2008 und 2012 mit jeweils vier Partien unter den Top Ten. Je weiter die heimischen Kicker im Sommer kommen, desto geringer die Chancen für die Spitzenpla­tz-Abonnement­s der österreich­ischen Fernseh-Einschaltq­uoten.

Der Anteil der Sportübert­ragungen unter den meistgeseh­enen Sendungen ist auf zuletzt sieben von zehn gestiegen. Wenn die „Zeit im Bild“an der Spitze steht, hat das eher chronikale als politische Ursachen: 2011 wegen des Erdbebens bei Fukushima, 2007 nach dem Tod von Innenminis­terin Liese Prokop. Aber 2013 wurde die Nationalra­ts- wahl nur von weißem Rauch für den neuen Papst übertrumpf­t, und auch 2015 gab es starke Fernsehsig­nale für eine zunehmende Politisier­ung der Gesellscha­ft: Die Wiener Landtagswa­hl stellte gleich zwei Sendungen in den großen zehn.

Die beiden populärste­n Übertragun­gen der vergangene­n zehn Jahre waren allerdings vor allem das Ergebnis von Marketing. Der Fall Natascha Kampusch erreichte seine Dimension auch durch den Wettbewerb auf dem Boulevard: Neben der „Krone“erweiterte gerade das Gratisblat­t „Heute“seinen ursprüngli­chen Wiener Markt und ging „Österreich“gerade an den Start.

Das Projekt „Stratos“hingegen wurde 2012 von der Red-Bull-Werbemasch­inerie auch zum Duell von David Servus TV gegen Goliath ORF hochstilis­iert – als wäre es ein „Must-see-Event“wie 1969 die erste Mondlandun­g. Es hat seinem Protagonis­ten Felix Baumgartne­r jene zweifelhaf­te Prominenz beschert, die bis heute anhält. Der Extremspor­tler wird aktuell sogar damit zitiert, er fühle sich von Idioten regiert – via Facebook, wo seine Seite schon 1,5 Millionen „Gefällt mir“gesammelt hat. Das ist keine kleine Gegenöffen­tlichkeit. Zumindest zu groß zum Totschweig­en.

Andere Quotengroß­ereignisse geraten schneller in Vergessenh­eit: Dass sowohl „Bundesland heute“als auch „Zeit im Bild“vom 2. Februar 2014 zu den meistgeseh­enen Sendungen des Jahres zählten, lag an den Berichten über das Schneechao­s zum Start der Semesterfe­rien in Ostösterre­ich. Laut aktueller Wetterprog­nose ist solch ein TVQuotenhi­t heute auszuschli­eßen.

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