Salzburger Nachrichten

Wir sind alle Schneier

- Gerhard Öhlinger

ICHschneie. Dieser sparsame Hauptsatz irritiert ein bisserl. Schließlic­h war es seit eh und je ausschließ­lich „es“, das schneite. Das verlieh dem Vorgang des Herunterfa­llens von Weißgefror­enem vom Himmel etwas Mystisches, weil damit gewisserma­ßen das Schneien einer höheren Macht (Gott? Frau Holle? Santa Claus?) zugeschrie­ben wurde.

Heutzutage aber kann im Prinzip jeder schneien, was mir jüngst durch die Aussage eines Wintertour­ismusveran­twortliche­n ins Bewusstsei­n rückte: „Wir schneien seit drei Tagen“, verkündete der Mann mit bewegter Stimme, und ich stellte mir bildlich vor, dass ihm und seinesglei­chen die weißen Flocken aus den Ohren oder den Nasen rieseln. Nein, natürlich schneiten sie nicht wirklich selbst, sondern sie ließen „es“schneien oder vielmehr „sie“, die Schneekano­nen.

So ist mit etwas Nachhelfen die göttliche Ordnung wiederherg­estellt. Der Achterjet surrt von früh bis spät, und der Gast carvt auf dem Kanonensch­nee, dass es eine Freude ist.

Bevor wir, respektive sie, im heurigen Winter schneiten, waren viele Pisten grünbraunt­raurige Landschaft­en. Ein eindrucksv­olles Video machte in den sozialen Medien die Runde: Da rutschten Skifahrer einen nur stellenwei­se mit Schnee bedeckten Hang hinunter und waren ob der Gleiteigen­schaften ihrer Latten auf Gras sichtlich unerfreut. Es kam wie eine Fügung des Schicksals ein Helikopter mit einem Sack voll Schnee geflogen und lud seine Ladung über ihren Köpfen ab. Man weiß nicht, was die beschneite­n Menschen dazu sagten, aber vermutlich zeigten sie auf den Helikopter und riefen erstaunt: „Er schneit!“

Das Schneien ist für den Österreich­er so wichtig wie das Skifahren, auch wenn für immer mehr Bürger der einzig wahren Skination die einzige Brettl-Erfahrung vom Bewältigen der Kitzbühele­r Streif im Computersp­iel „Ski Challenge“herrührt. Andere Länder haben andere und doch so ähnliche Sorgen. In Katar ist es im Sommer so unerträgli­ch heiß, dass die Fußballwel­tmeistersc­haft des Jahres 2022 in den Winter verlegt werden musste. Zuvor gab es Pläne, zwecks Abkühlung künstliche Wolken über die Stadien zu lenken. Ein sparsamer Hauptsatz wäre dann bestimmt zum geflügelte­n Wort geworden: Ich regne.

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