Grüne Wunder
CHRISTINA REPOLUST Die Garnelen haben geschmeckt und das Nachhaltigkeitssiegel auf der Verpackung beruhigt das Gewissen. Dass aber die Shrimps-Aquakulturen in Bangladesch der Bevölkerung Hunger und Tod bringen, wird dem umweltbewussten Genießer verschwiegen. Auch das nachhaltige Palmöl hat Kathrin Hartmann auf ihren Reisen nach Indonesien und Bangladesch nicht gefunden, dafür aber gerodete Regenwälder und Menschen, die der grüne Kolonialismus vertrieben hat. SN: Wir fahren Elektroautos und genießen Shrimps aus nachhaltiger Aquakultur. Aber was genau bedeutet „Green Economy“und warum hören Konsumenten, wenn es um Nachhaltigkeit geht, gern Märchen? Hartmann: Es ist das Versprechen, man könne Wachstum und Naturzerstörung voneinander entkoppeln. Die Vorstellung von einem grünen Perpetuum mobile gefällt der konsumfreudigen Mittelschicht sehr gut. Denn dann wären Hyperkonsum und Verschwendung nicht schädlich, sondern gut für die Welt. Aber das ist Quatsch, denn selbstverständlich brauchen Wachstum und Profit Rohstoffe, Land, Energie und billige Arbeitskraft. Naturzerstörung ist die Grundlage des grünen Kapitalismus. SN: Wer sind die Guten, wer die Bösen in diesem Märchen? Moralische Kategorien wie „gut“oder „böse“führen da nicht weit – wir müssen über Rechte und Gerechtigkeit sprechen. Wie kann es sein, dass die Politik und Organisationen wie die UNO Konzerne bei ihren Greenwashing-Strategien unterstützen, anstatt sie zu regulieren und wegen Menschenrechtsverletzung und Naturzerstörung zur Rechenschaft zu ziehen? Deutlicher: Wie kann es sein, dass beim Einsturz einer Textilfabrik mehr als tausend Menschen sterben, und keine der dort produzierenden Kleiderfirmen steht vor Gericht? SN: Mit 60 Millionen Tonnen pro Jahr ist Palmöl das meistproduzierte – und auch das billigste – Pflanzenfett der Welt. Sie sind nach Indonesien gereist und haben dort die zerstörten Regenwälder gesehen und mit vielen Menschen geredet, die von ihrem Grund und Boden vertrieben wurden. Die Firmen dort haben sich doch nicht über Ihre Anwesenheit gefreut? Ich war undercover vor Ort und nur mit lokalen Organisationen, indigenen Vertretern, Aktivisten, Menschenrechtlern, Gewerkschaften und Kleinbauern unterwegs: Mit Menschen, die unmittelbar von den Folgen des Palmölanbaus betroffen sind oder mit den Folgen dieses Wahnsinns kämpfen. Mit Wissen der Firmen kommt man nicht dahin, wo es brennt. Es gab auch ungemütliche Situationen. Einmal ist uns die Security bis in die in den Plantagen versteckten Arbeiter-Slums gefolgt. Einmal tauchte ein Soldat auf, als ich eine indigene Gemeinde besuchte. Die Bewohner dort waren gewaltsam von ihrem Land vertrieben und vom Militär und der Security der Palmölfirma misshandelt worden. Einer von ihnen ist an seinen schweren Verletzungen gestorben. SN: Großkonzerne überrennen das Land, vertreiben die Indigenen. Das alles wird unterstützt von deutscher Entwicklungshilfe und Wohltätigkeitsstiftungen. Das muss doch Wut erzeugen. Ja, natürlich haben die Menschen dort eine riesige Wut. Sie betrachten die sogenannten Nachhaltigkeitsbemühungen des Westens als grünen Kolonialismus. „Green Grabbing“nannte das zum Beispiel Nordin von „Save our Borneo“. Denn unter dem grünen Deckmantel sichert sich der Norden Land, billige Arbeitskraft und Ressourcen. Dafür sind diese Nachhaltigkeitsinitiativen, die gegen den Willen der Bevölkerung umgesetzt werden, gedacht. Aber die Aktivisten und NGOs kämpfen nicht für „nachhaltiges Palmöl“oder „nachhaltige Shrimps“, sondern für Land-, Bauern- und Arbeitsrechte, für Klimagerechtigkeit und Ernährungsunabhängigkeit. Ich lehne das westliche Nachhaltigkeits- und Entwicklungsregime ebenfalls ab. Aber es hat mir Mut gemacht zu sehen, wie die Menschen dort kämpfen, dass sie auch erfolgreich damit sind und dass die Alternativen, die sie fordern, tatsächlich funktionieren. SN: Sie kritisieren wie die kanadische Globalisierungsgegnerin Naomi Klein Klimawandel und Kapitalismus und stellen in beinahe jedem Kapitel Ihres neuen Buchs entsprechende Zusammenhänge her. Wir müssen das System ändern, das sagen Sie, das sagen die Kleinbauern, mit denen Sie sprachen. Auch wir Konsumentinnen sind Teil dieses Systems. Welche Veränderungen fordern Sie von wem in welcher Zeit? Ich habe keinen Reißbrettplan, das muss gesellschaftlich ausgehandelt werden, gemeinsam mit den Ländern des Südens. Ich bin überzeugt, dass das Konzept der Ernährungsunabhängigkeit und eine kleinbäuerliche, ökologisch orientierte Landwirtschaft der Schlüssel für globale Gerechtigkeit ist. Wir brauchen keine Entwicklungshilfe, die in Wahrheit Außenwirtschaftsförderung ist, sondern Entschädigungszahlungen, die es diesen Ländern möglich machen, stabile Infrastrukturen einzurichten, in Gesundheit, Bildung, in Agrarforschung und agrarökologisch souveräne Methoden zu investieren. Das bedeutet für uns, dass weder endloses Wachstum noch unser verschwenderischer Lebensstil mit Hyperkonsum, Fleischverzehr und Hypermobilität Zukunft haben. Und darauf gibt es auch kein Recht. Wir sollten nicht so naiv sein zu glauben, dass uns der Klimawandel nicht so arg erwischt oder grüne Daniel Düsentriebe uns schon noch in letzter Sekunde retten werden. Das wird nicht passieren: Wir müssen jetzt über gerechte, allgemein übertragbare Alternativen diskutieren. SN: Am Beispiel der Packerlsuppe, die Sie Tütensuppe nennen, schlagen Sie eine Brücke von der Ausbeutung im Süden zu den Supermärkten im Norden, wo sich gestresste, ausgenutzte Angestellte diese Suppe „reinziehen“. Warum? Die Tütensuppe ist für mich ein Symbol des schlechten Lebens, eine Simulation von Essen und Geschmack. Sie ist in Wahrheit ein wertloses, sinnloses und ungesundes Lebensmittel, das nur aus den primitiven Zutaten Fett, Stärke, Farbe und Geschmacksstoffen besteht. Und dass für solchen sinnlosen Mist in Indonesien Wälder vernichtet, Menschen enteignet, misshandelt und sogar umgebracht werden, erfüllt mich mit Wut und Ekel. SN: Sie haben in El Salvador Arbeiterinnen getroffen, die nicht nur ihr eigenes Leben veränderten, sondern auch ihre Umgebung, indem sie sich nicht länger von einer Textilfirma ausbeuten ließen, sondern die Kooperative Acopius gründeten. Auch das klingt wie ein Märchen. Kein Märchen, Realität. Die Heldinnen von Hermosa, ich werde sie nie vergessen! Wunderbare, solidarische Frauen, die dem Weltkonzern Adidas die Stirn geboten und viele andere dazu gebracht haben, gegen ihre Unterdrückung und das brüllende Unrecht aufzustehen. Mit Mut, Liebe, Entschlossenheit und dem Glauben an bedingungslose Gerechtigkeit. Mehr braucht es nämlich erst einmal nicht.
Die Autorin Kathrin Hartmann enttarnt die Märchenwelt der Green
Economy. Sie sagt: „Naturzerstörung ist die Grundlage des grünen
Kapitalismus.“