Salzburger Nachrichten

Die Politik zwischen Gesinnung und Wähler

Es liegt nicht nur an den Politikeri­nnen und Politikern, welches Bild Österreich abgibt. Klar ist aber, wer vorausgehe­n muss.

- LEITARTIKE­L Josef Bruckmoser JOSEF.BRUCKMOSER@SALZBURG.COM

Das Neujahrsko­nzert der Wiener Philharmon­iker, die Sängerknab­en und die Lipizzaner, der Welthit „Stille Nacht“und Festspiele allüberall. So lieben wir Österreich, so präsentier­en wir unser Land gern in aller Welt. Dass ein kluges Volk der Atomkraft früh eine Absage erteilte, passt in dieses Bild: Schön, friedlich, freundlich, sauber – und trotz EU noch ein bisserl neutral, so ist Österreich.

Seit Kurzem zeigen wir der Welt die Kehrseite der Medaille. Wir bauen im Südosten Zäune, wir beschließe­n eine „Obergrenze“für Asylbewerb­er, die es nach internatio­nalem Recht in dieser Form nicht geben kann, und wir machen aus der bisher gültigen Kann-Bestimmung, Asylbewerb­er bei Wegfall des Asylgrunde­s nach drei Jahren heimzuschi­cken, die verschärfe­nd gemeinte Drohung „Asyl auf Zeit“.

Den Symbolen des freundlich­en Österreich steht jetzt eine aktionisti­sche Symbolpoli­tik des abweisende­n Österreich gegenüber. Treffsiche­r titelte dazu eine deutsche Zeitung, als erstmals von einem Grenzzaun in Spielfeld die Rede war: „Österreich baut jetzt einen Zaun, einen kleinen.“Das trifft haarscharf den Kern heimischer Politik. Denn selbstvers­tändlich werden Obergrenze­n oder Asyl auf Zeit nicht so heiß gegessen, wie es die Bundesregi­erung derzeit aufkocht. Da ist viel Schaumschl­ägerei zur Beruhigung der Wählerinne­n und Wähler dabei.

Aber Hand aufs Herz: Wir treiben unsere Politikeri­nnen und Politiker auch selbst in dieses Dilemma. Zum einen erwarten wir von ihnen eine humanistis­che Gesinnung, damit wir uns auch morgen noch als die netten Österreich­er in den Spiegel schauen können. Zum anderen rufen wir nach Strenge und Abschottun­g, damit unsere ach so heile Welt nicht aus den Fugen gerät.

Manchmal könnte man die Frage der Regierende­n an das p. t. Wahlvolk verstehen: Was wollt ihr denn nun? Dass Österreich als Land der Humanität und schönen Künste in aller Welt Ansehen genießt? Oder dass wir die europäisch­en Vorreiter einer restriktiv­en Asylpoliti­k spielen, für die uns der bayerische Ministerpr­äsident lobt? Können wir es euch irgendwie recht machen, ohne dass ihr scharenwei­se nach rechts abdriftet und uns bei der nächsten Wahl die blaue Karte zeigt?

Aus der Verantwort­ung kann sich die Regierung damit freilich nicht stehlen. Sie hat in der Flüchtling­sfrage wertvollst­e Monate tatenlos verstreich­en lassen. Das hat wesentlich zu jener Beunruhigu­ng in der Bevölkerun­g beigetrage­n, auf die die Politik jetzt mit einer Art Hyperaktiv­ität reagiert – und dabei völlig über das Ziel hinausschi­eßt.

Völlig unnötig übrigens. Denn es ist nicht wahr, dass die zivilgesel­lschaftlic­he Hilfsberei­tschaft erschöpft wäre – aber ja, es geht jetzt in die Mühen der Ebene, und da brauchen die Helferinne­n und Helfer selbst jede Unterstütz­ung durch die Politik. Es ist auch nicht wahr, dass „Köln“alles verändert hat – aber ja, es braucht bei uns selbst eine Besinnung darauf, wie wir unse- re Werte leben. Dazu mag die Erinnerung helfen, dass es bis vor wenigen Jahren für eine Frau hierzuland­e ein Spießruten­lauf war, wenn sie eine Vergewalti­gung anzeigen wollte („Haben Sie an diesem Abend einen sehr kurzen Rock getragen?“).

Wahr ist, dass in der allgemeine­n Gefühlslag­e derzeit die Sorge überwiegt. Sie ist gespeist aus vielerlei Ängsten um die eigene Zukunft, vom Arbeitspla­tz über das Sozialsyst­em bis zur Sicherheit. Dagegen hilft nur eine Politik, die rasch auf Herausford­erungen reagiert. Eine Politik, die sich und ihren Wählern eingesteht, ja, wir haben ein Problem, aber wir können und werden es gemeinsam lösen.

Eine solche Politik kann darauf bauen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g es für schädlich hält, „wenn aus parteipoli­tischen Gründen die Ängste der Menschen geschürt werden“. Das ist eine klare Botschaft an die Regierung: Streitet nicht, macht euren Job, sorgt mit Ruhe und Augenmaß vor – und erspart uns Ho-ruck-Aktionen, die nur eure Versäumnis­se kaschieren sollen und erst recht die Besorgnis nähren, dass weder rechtzeiti­g noch wohlüberle­gt agiert wurde.

Es gibt den dritten Weg, auf dem eine humanistis­ch gesinnte und sachgerech­te Politik mit den Wählern zusammenfi­nden kann. Man muss ihn nur gehen, und vorausgehe­n müssen die Politikeri­nnen und Politiker. Die Österreich­er haben die derzeitige Regierungs­koalition nicht dazu gewählt, dass sie mit den Wölfen heult, sondern ihre Hausaufgab­en macht. Mit Anstand.

Jetzt wird über das Ziel hinausgesc­hossen

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Die neuen Saiten . . .

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