Die Politik zwischen Gesinnung und Wähler
Es liegt nicht nur an den Politikerinnen und Politikern, welches Bild Österreich abgibt. Klar ist aber, wer vorausgehen muss.
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, die Sängerknaben und die Lipizzaner, der Welthit „Stille Nacht“und Festspiele allüberall. So lieben wir Österreich, so präsentieren wir unser Land gern in aller Welt. Dass ein kluges Volk der Atomkraft früh eine Absage erteilte, passt in dieses Bild: Schön, friedlich, freundlich, sauber – und trotz EU noch ein bisserl neutral, so ist Österreich.
Seit Kurzem zeigen wir der Welt die Kehrseite der Medaille. Wir bauen im Südosten Zäune, wir beschließen eine „Obergrenze“für Asylbewerber, die es nach internationalem Recht in dieser Form nicht geben kann, und wir machen aus der bisher gültigen Kann-Bestimmung, Asylbewerber bei Wegfall des Asylgrundes nach drei Jahren heimzuschicken, die verschärfend gemeinte Drohung „Asyl auf Zeit“.
Den Symbolen des freundlichen Österreich steht jetzt eine aktionistische Symbolpolitik des abweisenden Österreich gegenüber. Treffsicher titelte dazu eine deutsche Zeitung, als erstmals von einem Grenzzaun in Spielfeld die Rede war: „Österreich baut jetzt einen Zaun, einen kleinen.“Das trifft haarscharf den Kern heimischer Politik. Denn selbstverständlich werden Obergrenzen oder Asyl auf Zeit nicht so heiß gegessen, wie es die Bundesregierung derzeit aufkocht. Da ist viel Schaumschlägerei zur Beruhigung der Wählerinnen und Wähler dabei.
Aber Hand aufs Herz: Wir treiben unsere Politikerinnen und Politiker auch selbst in dieses Dilemma. Zum einen erwarten wir von ihnen eine humanistische Gesinnung, damit wir uns auch morgen noch als die netten Österreicher in den Spiegel schauen können. Zum anderen rufen wir nach Strenge und Abschottung, damit unsere ach so heile Welt nicht aus den Fugen gerät.
Manchmal könnte man die Frage der Regierenden an das p. t. Wahlvolk verstehen: Was wollt ihr denn nun? Dass Österreich als Land der Humanität und schönen Künste in aller Welt Ansehen genießt? Oder dass wir die europäischen Vorreiter einer restriktiven Asylpolitik spielen, für die uns der bayerische Ministerpräsident lobt? Können wir es euch irgendwie recht machen, ohne dass ihr scharenweise nach rechts abdriftet und uns bei der nächsten Wahl die blaue Karte zeigt?
Aus der Verantwortung kann sich die Regierung damit freilich nicht stehlen. Sie hat in der Flüchtlingsfrage wertvollste Monate tatenlos verstreichen lassen. Das hat wesentlich zu jener Beunruhigung in der Bevölkerung beigetragen, auf die die Politik jetzt mit einer Art Hyperaktivität reagiert – und dabei völlig über das Ziel hinausschießt.
Völlig unnötig übrigens. Denn es ist nicht wahr, dass die zivilgesellschaftliche Hilfsbereitschaft erschöpft wäre – aber ja, es geht jetzt in die Mühen der Ebene, und da brauchen die Helferinnen und Helfer selbst jede Unterstützung durch die Politik. Es ist auch nicht wahr, dass „Köln“alles verändert hat – aber ja, es braucht bei uns selbst eine Besinnung darauf, wie wir unse- re Werte leben. Dazu mag die Erinnerung helfen, dass es bis vor wenigen Jahren für eine Frau hierzulande ein Spießrutenlauf war, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigen wollte („Haben Sie an diesem Abend einen sehr kurzen Rock getragen?“).
Wahr ist, dass in der allgemeinen Gefühlslage derzeit die Sorge überwiegt. Sie ist gespeist aus vielerlei Ängsten um die eigene Zukunft, vom Arbeitsplatz über das Sozialsystem bis zur Sicherheit. Dagegen hilft nur eine Politik, die rasch auf Herausforderungen reagiert. Eine Politik, die sich und ihren Wählern eingesteht, ja, wir haben ein Problem, aber wir können und werden es gemeinsam lösen.
Eine solche Politik kann darauf bauen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung es für schädlich hält, „wenn aus parteipolitischen Gründen die Ängste der Menschen geschürt werden“. Das ist eine klare Botschaft an die Regierung: Streitet nicht, macht euren Job, sorgt mit Ruhe und Augenmaß vor – und erspart uns Ho-ruck-Aktionen, die nur eure Versäumnisse kaschieren sollen und erst recht die Besorgnis nähren, dass weder rechtzeitig noch wohlüberlegt agiert wurde.
Es gibt den dritten Weg, auf dem eine humanistisch gesinnte und sachgerechte Politik mit den Wählern zusammenfinden kann. Man muss ihn nur gehen, und vorausgehen müssen die Politikerinnen und Politiker. Die Österreicher haben die derzeitige Regierungskoalition nicht dazu gewählt, dass sie mit den Wölfen heult, sondern ihre Hausaufgaben macht. Mit Anstand.
Jetzt wird über das Ziel hinausgeschossen