Und dann war alles anders
Eigentlich war die Wahl eines Bundespräsidenten bisher eine relativ unspektakuläre Angelegenheit. Sieht man von der Auseinandersetzung rund um Kurt Waldheim und seiner Kriegsvergangenheit, die die österreichische Gesellschaft nachhaltig spaltete, einmal ab.
Aber auch damals galt: Österreichischer Bundespräsident kann nur ein Sozialdemokrat oder ein Christlichsozialer werden. Andere Kandidatinnen und Kandidaten hatten keine Chance, weil sie weder über die Schlagkraft der beiden damaligen Großparteien verfügten noch über deren Anhängerschaft.
Diesmal ist alles anderes. Dass Rudolf Hundstorfer (SPÖ) oder Andreas Khol (ÖVP) in die Stichwahl kommen, ist nicht fix. Auch die ehemalige Verfassungsrichterin Irmgard Griss, der grüne Ex-Parteichef Alexander Van der Bellen und der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer können sich berechtigte Hoffnungen auf das Amt des Bundespräsidenten machen. Allein diese Ausgangslage vor der Wahl zeigt, wie sehr sich das politische System in Österreich im Umbruch befindet.
Auch wenn SPÖ und ÖVP derzeit noch die ganze Macht im Staat unter sich aufteilen: Ihre große Zeit ist vorbei. Einst hatten sie mehr als 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler hinter sich, bei den vergangenen Wahlen waren es nur noch knapp mehr als 50 Prozent.
Die Wahl zum Bundespräsidenten könnte, auch wenn zuallererst Persönlichkeiten und nicht Parteien gewählt werden, zu einer echten Zäsur in Österreichs Politik werden. Erstmals könnten beide ehemaligen Großparteien ins Hintertreffen geraten, der Umbruch in Österreichs Politlandschaft wäre das erste Mal dokumentiert.
Darum wird die Wahlauseinandersetzung wohl weit intensiver geführt werden, als viele bisher annehmen. Zum Trost: Bei der Kandidatin und den Kandidaten handelt es sich, trotz aller ideologischer Unterschiede, um respektable und honorige Personen. Wer immer auch gewinnen wird, die Österreicherinnen und Österreicher werden sich für ihr nächstes Staatsoberhaupt nicht schämen müssen.