„Nicht jeder kann zu uns kommen“
Gemeinsam statt einsam. Nur alle europäischen Staaten zusammen können die Kraft aufbringen, die Flüchtlingskrise zu bewältigen, sagt Neos-Chef Matthias Strolz.
Die Flüchtlingskrise bestimmt die politische Diskussion. Neos-Chef Matthias Strolz glaubt, dass nur durch eine europäische Zusammenarbeit das Problem wirklich gelöst werden kann. Wenn jeder Staat für sich handle, schade das Österreich und Europa schwer. SN: Flüchtlingsansturm, SyrienKrieg, Eurokrise. Gerade kleinere Parteien haben es im Moment schwer, sich angesichts der großen internationalen Herausforderungen Gehör zu verschaffen. Wie geht es den Neos damit? Strolz: Ja, das stimmt. Wir tun uns als Kraft der Mitte da ein wenig schwer. Von den Rändern des politischen Spektrums, egal ob links oder rechts, kommen zwar viele Emotionen, allerdings keine Lösungen. Man muss aber auch sagen, in Österreich gibt es nur zwei Parteien, die derzeit bei Umfragen zulegen, das sind wir und die Freiheitlichen. Wobei jedem klar sein muss, dass es gerade in der Flüchtlingsfrage keine einfachen Lösungen gibt. SN: In den vergangenen Wochen wurden in Österreich, aber auch in anderen europäischen Staaten, neue Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise präsentiert. Wird das die Situation verbessern? Vieles, was da angekündigt worden ist, vom Zaun über Asyl auf Zeit bis zur Obergrenze, ist für mich Symbolpolitik. Wir werden nicht den 37.501. Flüchtling mit Gewalt aufhalten. Dann wird er halt als U-Boot über die Grenze kommen. Ich halte es für falsch, jetzt die nationale Karte zu ziehen. Ich will keine 28 einge- zäunten Schrebergärten in Europa, keine Politiker, die sich in Israel zeigen lassen, wie man eine perfekte Grenzmauer baut. Europa muss zusammenhalten, ein gemeinsames Asylsystem aufbauen und den Schengenraum vertiefen. SN: Die europäischen Lösungen haben bisher nicht funktioniert. Ob es sie in zwei oder drei Monaten geben wird, ist fraglich. Müssen da nicht die Nationalstaaten reagieren, erwarten die Bürger das nicht von ihnen? Klar ist, es braucht Lösungen, die funktionieren. Es kann sich vieles radikal ändern, etwa dass der Kreis der Schengenstaaten verkleinert wird, wenn einige aktuelle Mitgliedsstaaten keine vertiefte Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage mittragen wollen. Das wäre aber immer noch besser als das derzeit herrschende Florianiprinzip, bei dem jeder versucht, die Flüchtlinge an den Nachbarn weiterzuschieben. SN: Aber was derzeit passiert, etwa bei Grenzkontrollen, bewegt sich ja immer noch innerhalb der Regeln von Schengen. Ja, noch. Aber auch wir in Österreich haben uns nicht immer an die Schengenregeln gehalten, indem wir die Flüchtlinge nicht registriert haben und versucht haben, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Wir wollen aber mehr, eine gemeinsame Asylbehörde, eine gemeinsame Finanzierung der Flüchtlingskrise, eine gemeinsame Kontrolle der Außengrenzen. Wir können so nicht weitermachen. Wenn es so wird wie vergangenes Jahr, dann würden bis zu zwei Millionen Menschen durch Österreich reisen, etwa 200.000 würden hier einen Asylantrag stellen. Das hält das Land nicht aus. Was wir auf den Tisch legen, das ist die Geburt eines starken Kerneuropas. Ich bin mir sicher, in ein paar Jahren wird die Flüchtlingskrise die nächste Vertiefung der EU mit sich gebracht haben. Eine Allianz aus Deutschland, Schweden und Österreich geht voran, aber auch die Niederländer treiben die Dinge. Es ist wichtig, dass Tempo gemacht wird. Die anderen müssen sich überlegen, ob sie mitmachen. Wer nicht dabei, ist, ist nicht dabei. Es muss aber jedem Staat klar sein, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Man kann sich nicht die Rosinen, sprich Geld, herauspicken und dann, wenn es einem nicht mehr passt, die anderen im Stich lassen. Gemeinsam könnte EU-Europa bei über 508 Millionen Einwohnern durchaus eine Million Flüchtlinge aufnehmen. SN: Bei all den Vorstellungen, die die Regierungen haben, bleibt immer die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger das akzeptieren, die Rechnung wird ja bei den nächsten Wahlen beglichen. Was ist, wenn die Leute etwas ganz anderes wollen, möglicherweise eine noch viel schärfere Asylpolitik? Es wird unsere Aufgabe sein, die Bürger zu überzeugen, dass eine europäische Lösung die beste ist. Wir müssen etwa klarmachen, dass es weniger Wohlstand bedeutet, wenn wir Zäune bauen. Klar ist aber auch, dass nicht jeder kommen kann, der will. Wir müssen zwischen Kriegsflüchtlingen, Asylsuchenden und Arbeitsmigranten unterscheiden. Kriegsflüchtlinge sollten unbürokratisch anerkannt werden, so wie es auch beim Bosnien-Krieg der Fall war. Und wir müssen auch sagen, wenn die Kämpfe vorbei sind, dann müsst ihr wieder zurück in eure Heimat, euer Land braucht euch. Wer hingegen Asyl braucht, der soll ein faires Verfahren bekommen. Und es muss auch Regeln für Arbeitsmigranten geben. SN: Wie sollen die aussehen? Solange es ein starkes Wohlstandsgefälle zwischen Europa und vielen anderen Teilen der Welt gibt, werden sich Menschen auf den Weg zu uns machen. Wir brauchen eine europäische Blue Card. Ein Modell so ähnlich wie in Kanada und den USA. Wer eine Arbeitserlaubnis bekommt, kann kommen, die anderen nicht. Und man könnte auch noch eine Arbeitserlaubnis-Lotterie veranstalten, wie es die USA jedes Jahr machen, als Signal: „Ihr habt eine Chance, zu uns zu kommen.“ SN: Und das würde reichen? Bei allem muss uns klar sein, wenn wir keine europäischen Regelungen schaffen, dann können wir keine noch so hohen Mauern bauen, die Leute werden sie überwinden. Wir brauchen auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Europa muss stärker werden. Die EU als stärkster Wirtschaftsraum der Welt muss Perspektiven vor Ort mit ermöglichen. Derzeit hecheln die Europäer den internationalen Konflikten immer hinterher, egal ob es am Balkan war, in der Ukraine oder in Syrien. Die EU muss mehr Verantwortung übernehmen. Vor einigen Jahren hätten wir sicher ein UNOMandat bekommen, um in Teilen Syriens eine Flugverbotszone einzurichten. Dort hätten die Flüchtlinge angesiedelt und geschützt werden können, dann hätten wir uns das Flüchtlingsthema erspart. Aber Europa ist immer zu spät. SN: Das wird sich aber nicht so schnell ändern. Ich fürchte, nein. Die Flüchtlingskrise wird sich noch dramatisch verschärfen, bis Österreich und die anderen europäischen Staaten – vielleicht nicht alle, aber viele – sich auf gemeinsame, funktionierende Lösungen einigen werden. Und ich fürchte auch, dass es auch noch schwere Terroranschläge geben wird, bis die Sicherheitskräfte aller EU-Länder endlich alle an einem Strang ziehen.