Salzburger Nachrichten

Nachgeben ist leichter, wenn man auch selbst profitiert

- „Sein oder nicht zusammen sein?“, das fragten einander Donald Tusk (l.) und David Cameron. STEPHANIE.PACK@SALZBURG.COM

STEPHANIE PACK

Der Ratspräsid­ent bediente sich gestern, Dienstag, ein wenig bei Shakespear­e. „To be or not to be together, that is the question“, so stellte Donald Tusk in einem Brief an die Staats- und Regierungs­chefs der EU fest. Eine Frage, die sich laut Tusk nicht nur die Briten, sondern eben auch die übrigen 27 EU-Mitglieder stellen müssen, und das spätestens in zwei Wochen. Dann wird bei einem Gipfeltref­fen in Brüssel über die Zukunft Großbritan­niens in der EU beraten – konkret über einen Vorschlag, den Tusk nach monatelang­en Gesprächen mit den Briten zusammenge­stellt hat.

Das Papier basiert auf vier sogenannte­n Körben an Forderunge­n, die der britische Premier David Cameron bereits deponiert hat. Nur wenn die EU-Partner darauf eingehen, so Cameron, würde er vor dem geplanten Referendum zu Hause für den Verbleib in der EU werben können.

Die heikelsten Punkte betreffen Sozialleis­tungen für Bürger aus anderen EU-Ländern. In diesem Bereich werden von Tusk zwei Gesetzesän­derungen vorgeschla­gen. Eine davon installier­t eine Notbremse beim Zugang zu Sozialleis­tungen. Das Prinzip: Gibt es in einem Land einen derart massiven Zuzug von EU-Bürgern, dass die Sozialsyst­eme in Gefahr kommen, kann das Land einen Antrag stellen, dass diese Notbremse gezogen wird. Die Kommission prüft und kann erlauben, dass EU-Bürgern, die neu am Arbeitsmar­kt sind, der Zugang zu Sozialleis­tungen für höchstens vier Jahre verwehrt wird. Großbritan­nien könnte laut Text davon ausgehen, dass die Kommission ihre Zustimmung zur Notbremse gibt.

Neben dem Zugang zu Sozialleis­tungen geht der Vorschlag auch auf das Thema Familienbe­ihilfe ein. Deren Höhe könnte sich künftig nach den Standards in jenem Land richten, in dem das Kind seinen Wohnsitz hat, und nicht mehr nach dem des arbeitende­n Elternteil­s. Ein Vorschlag, der auch von Österreich schon in Brüssel erhoben worden ist. Überhaupt sind einige der britischen Forderunge­n mehreren Ländern recht. Etwa wenn es um die Wettbewerb­sfähigkeit geht. Da könnte man mehr tun, heißt es in Tusks Vorschlag. Dem Binnenmark­t wolle man „neues Leben einhauchen“, vor allem bei Energie und Digitalwir­tschaft. Hürden, vor allem für kleine und mittlere Unternehme­n, sollen beseitigt werden.

Relativ wenig Streitpote­nzial gibt es auch, wenn es um das Verhältnis von Euro- und Nichteurol­ändern geht. Die Briten wollen festhalten, dass sie nicht für die Rettung von Euroländer­n zahlen müssen. Hier wird quasi nur wiederholt, was das EU-Recht ohnehin sagt.

Das ist über weite Strecken auch beim Thema Souveränit­ät der Fall. Ein besonderer Dorn im Auge ist den Briten der Passus im EU-Vertrag, in dem von der „immer engeren Union“die Rede ist.

Tusk präzisiert, dass es dabei um eine „immer engere Union der Menschen“geht, um mehr Vertrauen und Verständni­s zwischen den Europäern und mitnichten um mehr politische Integratio­n. Auf 16 Seiten haben die Büros des Ratspräsid­enten zusammenge­fasst, wie die EU den Briten entgegenko­mmen könnte. Gesetzlich­e Änderungen braucht es zwar wenige, die haben es aber in sich. Sie gehen an den Kern dessen, was die EU ausmacht, nämlich an ihr Grundprinz­ip: Bürger aus anderen EU-Ländern dürfen nicht diskrimini­ert werden. Auch nicht, wenn es um den Zugang zu Sozialsyst­emen geht.

Ganz generell kommen, und das liegt freilich in der Natur der Sache, die britischen Vorstellun­gen in Donald Tusks Text ganz deutlich zum Vorschein: Ein funktionie­render Wirtschaft­sraum soll diese Union sein, ein florierend­er Binnenmark­t. Politisch enger zusammenwa­chsen? Unerwünsch­t. Damit finden die Briten derzeit viele Unterstütz­er. Die Souveränit­ät ist nicht nur in London heilig. Die Briten waren bislang allerdings die Meister darin, Extrawürst­e auszuverha­ndeln. Eine halbe Seite lang wird im Tusk-Papier daran erinnert, wozu sie nicht verpflicht­et sind: kein Euro, kein Schengen, keine Zusammenar­beit bei Justiz, Polizei und Innerem.

Jetzt gibt die EU auch bei den Sozialleis­tungen für EU-Ausländer nach – aber nicht nur den Briten. Die neue Notbremse könnten ja alle beantragen, auch Österreich.

Da geht man doch gleich leichter auf die Briten zu.

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BILD: SN/AP
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Stephanie Pack

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