Der Kreml schickt die Info-Krieger
Wie Russland seinen Propagandakrieg gegen den Westen führt.
Der Hüne redet sich in Zorn. „Sie nennen uns Nazis! Uns, deren Großväter Europa befreit haben. Wir, ihre Kinder, sind gegen den Faschismus geimpft.“So schimpfen seit Jahren schon die Redner in den Talkshows des Moskauer Staatsfernsehens, in den ostukrainischen Rebellenhochburgen Gorlowka und Lugansk. Seit Neuestem überschreien die Gegner westlicher Demokratie und Toleranz einander auch in der Fußgängerzone von Kaiserslautern: „Toleranz? Der Körper zeigt im Endstadium völlige Toleranz gegenüber den Krebszellen.“„Wir werden diesen Krebs auskurieren!“Die Propaganda des Kremls hat Deutschland erreicht. In Berlin und anderen Städten gingen in den vergangenen Wochen Tausende russischstämmige Menschen auf die Straße. Sie protestierten gegen eine Vergewaltigung, die es nicht gibt, die aber der erste Kanal des russischen Staatsfernsehens am 16. Jänner in aller Ausführlichkeit geschildert hatte. Es gab eine weinende Tante als Zeugin. Es gab einen dunkelhäutigen Mann, in einem verwackelten Video gezeigt – ein „neuer Deutscher“, der sich brüstet, gemeinsam mit Freunden eine Jungfrau vergewaltigt zu haben. Die Sequenz geistert bereits seit Herbst 2009 im Netz und mit dem Fall hat sie nichts zu tun. Egal. Die Botschaft war klar: Ausländer hätten die 13-jährige Russlanddeutsche Lisa entführt und 30 Stunden lang vergewaltigt. Dass die Berliner Polizei die Vergewaltigung dementierte, scherte die Russen nicht. Außenminister Sergej Lawrow persönlich stieß nach. Natürlich sei „unser Mädchen Lisa“nicht freiwillig für 30 Stunden verschwunden, sagte er und warnte die deutschen Behörden davor, die Realität „politisch korrekt zu lackieren“. Deutsche Rechtsradikale verbreiten die Darstellung eifrig.
Inzwischen gilt die Sache als geklärt. Laut Ermittlungen hatte Lisa die fragliche Nacht wegen schulischer Probleme und aus Angst vor ihren Eltern bei einem deutschen Bekannten und dessen Mutter verbracht. Die Auswertung der Handydaten hatte die Behörden auf die Spur geführt.
Lisa ist kein Ausnahmefall. Russlands Fernsehsender, Social Media und auch Spitzenpolitiker erfinden seit Jahren grausame Verbrechen ihrer Gegner. Von dem – nie angekommenen – Zug mit ukrainischen Neonazis, die im März 2014 auf der Krim ein Blutbad anrichten wollten, über den Dreijährigen, den ukrainische Soldaten im Juli 2014 in der ostukrainischen Stadt Slawjansk gekreuzigt haben sollen, bis zu den tödlichen Grippeerregern, die die USA im heurigen Winter nach Ansicht eines Duma-Abgeordneten, Radim Solowjow, verbreiten.
„Russland führt längst Propagandakrieg auch gegen Europa“, sagt Ader Muschdabajew, ein nach Kiew emigrierter Ex-Redakteur der Zeitung „Moskowski Komsomoljez“. „Ziel ist es, Länder wie Deutschland zu destabilisieren und die EU zu spalten.“Um das zu erreichen, versuche der Kreml die drei Millionen Russlanddeutschen ähnlich zu manipulieren wie die ethnischen Russen im Krieg gegen die Ukraine. „Beide Gruppen sehen ja vor allem russisches Staatsfernsehen.“
Angesichts der Proteste gegen Präsident Wladimir Putin in den Jahren 2011 und 2012 begann der Kreml, die staatlich kontrollierten Massenmedien zu einer Propagandamaschine umzubauen. Ihr Haupt ist Putin persönlich, der die westlichen Politiker regelmäßig verbal attackiert. Während der Besetzung der Krim war er sich nicht zu schade, monatelang zu versichern, die dort aufmarschierten russischen Soldaten seien Vertreter lokaler Volkswehren – und nicht wenige in Europa glaubten ihm das sogar. Pu- tins Hauptassistenten sind Kulturminister Wladimir Medienski, zuständig für die Glorifizierung der Vergangenheit, und Außenminister Sergej Lawrow.
Dazu kommt eine ganze Flottille von Staatsmedien. „ TV-Sender wie Rossija 1 oder NTW haben jetzt eigene Redaktionen, die nur für den Propagandakrieg zuständig sind“, sagte ein Offizier der Sicherheitsorgane den SN. Diese Profis schaffen Leute vor die Kamera, die die gewünschten Zitate aufsagen, und Bilder, die nötig sind, um behauptete Gräueltaten glaubhaft zu machen. Egal, wenn Leichen im Donbass mit jahrealten Szenen aus dem Tschetschenienkrieg oder dem Nahen Osten illustriert werden.
„Die Propagandaleute entwickeln durchaus Eigeninitiative, aber ihre Vorschläge müssen vom Kreml abgesegnet werden, um zur Kampagne zu werden“, so der Offizier. An den Kampagnen beteiligen sich dann auch Auslandsmedien wie Russia Today und Sputnik sowie die Onlinetrolle, darunter die etwa 600 Mitarbeiter der Petersburger „Agentur zur Analyse des Internets“. Nicht zu vergessen sind die ideologischen Freaks, deren früher oft belächelte Verschwörungstheorien jetzt häufig von der offiziellen Propaganda aufgegriffen werden. „Außerdem finanziert der Kreml eine große Zahl von ,Berufsrussen‘ und extremistische Politiker im Westen“, betont Ex-Redakteur Ader Muschdabajew. Putins Propagandatruppe montiert militärische Erfolgsvideos aus Syrien, kündigt die baldige Ölpreisexplosion auf 200 Dollar an oder verkauft Fotokalender, auf denen Angela Merkel und Hillary Clinton im Dirndl zwischen SA-Männern spazieren. „Putin hat Russland eine Nationalidee gegeben: den virtuellen Krieg gegen den Westen“, sagt der Menschenrechtler Ewgeni Ichlow.
„Der Kreml finanziert auch eine große Zahl von ,Berufsrussen‘.“