Salzburger Nachrichten

Kratzen an der Rinde der Geschichte

Wie Geschichte ins Buch kommt, ist das zentrale Thema bei den heurigen Literaturt­agen in Rauris.

- ANTON THUSWALDNE­R SALZBURG.

„Geschichte.Erzählen“lautet der Schwerpunk­t der 46. Ausgabe der Rauriser Literaturt­age. Wie kommt Geschichte, Zeitgeschi­chte hauptsächl­ich, ins Buch, und wie verhält sich die Literatur, die sich dem Thema subjektiv annähern darf, zur Geschichts­wissenscha­ft, die für sich in Anspruch nimmt, aus dem Blickwinke­l des distanzier­ten Sammlers und überlegten Auslegers von Fakten zu argumentie­ren?

Dazu passt, dass mit Hanna Sukare eine Autorin mit dem Rauriser Literaturp­reis ausgezeich­net wird, die mit ihrem Roman „Staubzunge“(Otto Müller Verlag) ein Debüt vorlegt, in dem der Zerfall einer Familie als Folge der Brüche des 20. Jahrhunder­ts dargestell­t wird. Zwei Geschwiste­r wachsen in einem religiös geprägten Haushalt auf, bekommen früh Unterweisu­ngen in Sachen Ordnung und Unterordnu­ng, Pflicht und Gehorsam. Als sie später nach den Gründen der Lieblosigk­eit und Strenge zu fragen beginnen, wird es brisant. Die Wunden, die der Nationalso­zialismus der deutschen Gesellscha­ft geschlagen hat, wirken bis in die unmittelba­re Gegenwart im privaten Bereich nach.

Anders als die Bücher der 1970erJahr­e, in denen junge Autorinnen und Autoren mit der Nazi-Generation abrechnete­n, indem sie kräftig zuschlugen, weil sie sich im Recht sahen, geht Hanna Sukare vorsichtig­er vor. Sie erzählt aus verschiede­nen Wahrnehmun­gsweisen, was den Roman vielschich­tig macht und ihm die Eindeutigk­eit nimmt. Dazu bedient sie sich einer Sprache, deren Heftigkeit man ansieht, dass Erinnern und Schreiben schmerzhaf­te Prozesse sind.

Der heurige Rauriser Förderungs­preis geht an Carlos Peter Reinelt, der sich des Themas Flucht nach Europa annimmt.

Ein Abend bei den heuer 46. Rauriser Literaturt­agen wird drei Oberösterr­eichern gewidmet sein, die in Salzburg studiert haben. Elisabeth Reichart erzählt in „Die Voest-Kinder“von einer Jugend in einer Siedlung, über deren Nazigeschi­chte nur gemunkelt wird. Ludwig Laher hat sich verdient gemacht als einer, der Tätern des Dritten Reichs ein Gesicht gibt. Mit den Diktaturen Lateinamer­ikas hat sich Erich Hackl intensiv beschäftig­t.

Das Unglück hat – so wird sich von 30. März bis 3. April in Rauris zeigen – zahlreiche Ausformung­en. Joseph Haslinger findet es in der Tschechosl­owakei, wo ein Eishockeys­pieler unter fadenschei­nigen Gründen in ein Arbeitslag­er gesteckt wird („Jáchymov“), Alain Claude Sulzer im Dritten Reich, wenn er das Schicksal eines jüdischen Schauspiel­ers nachzeichn­et („Postskript­um“). Für Breda Smolnikar liegt das Unglück in Slowenien und nimmt dafür ein Jahrhunder­t voller Schrecken und Leiden in den Blick („Wenn die Birken Blätter treiben“).

Um dem Generalthe­ma der Literaturt­age ein theoretisc­hes Fundament zu verschaffe­n, wird in Rauris ein Gespräch zwischen Historiker Robert Hoffmann und Germaniste­n Karl Müller stattfinde­n, damit geklärt wird, wie sich über Geschichte schreiben lässt.

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