Schlucken allein genügt nicht
Essen in flüssiger oder breiartiger Form ist gefragt. Auch Nahrungsersatz wird so angeboten. Das hat allerdings Auswirkungen auf Kieferknochen, Zahnfleisch und den Darm.
SALZBURG. „Du willst eine vollwertige Mahlzeit ohne Zeitverschwendung? Hier ist alles drin, was dein Körper braucht! nu3 ist die neue Dimension der intelligenten Ernährung. Denn der Shake bietet alle Mineralstoffe, Vitaminstoffe und Spurenelemente, die du brauchst, um fit, leistungsfähig und gesund zu bleiben. Pack es an! Ab jetzt hast du mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Denn die Ernährung stemmst du ganz nebenbei“.
Mit diesen aufmunternden Worten bewirbt seit Jahresbeginn eine Berliner Firma ein Nahrungsersatzmittel. „Die Astronautennahrung für jedermann“ist ein Pulver, das mit Wasser angerührt wird. Eine Portion hat 546 Kalorien. Zielgruppen sind laut Unternehmen Menschen mit wenig Zeit, etwa junge Eltern oder stressgeplagte Arbeitnehmer. Danach richtet sich die Werbung aus: „Unser Körper muss eine Menge leisten. Die Ernährung ist das A und O, damit er fit und energiegeladen bleibt. Aber wer hat die Zeit, stundenlang in der Küche zu stehen? Na eben! Für alle, die eine Abkürzung wollen und keine Zeit mehr beim Kochen verschwenden möchten, haben wir jetzt das neue nu3 entwickelt.“
Im Nu ist alles zusammengerührt und hinuntergeschluckt. Das mag praktisch sein. Doch wie reagiert der Körper eines gesunden Menschen darauf? Maria Anna Benedikt, Leiterin der Abteilung Ernährungsmedizinische Beratung an den Salzburger Universitätskliniken, will gleich etwas klarstellen: „Wenn wir von Astronautennahrung sprechen, dann verstehen wir darunter die Ernährung schwerstkranker Menschen mittels Sonde. Eine orale Ernährung kommt für diese Patienten nicht infrage. Sie können nur über die Sonde ausrei- chend mit Nährstoffen versorgt werden. Und bei diesen Shakes, zu denen auch Formula-Diäten und Drinks für Sportler gehören, gibt es auf dem Markt einen ziemlich großen Wildwuchs.“
Formula-Diäten, die sich ebenfalls als Pulver mit Wasser anrühren lassen und Kohlenhydrate, Eiweiß und Nährstoffe enthalten, seien gut zur Umstellung seines Lebensstils einsetzbar. Wer etwa schwer übergewichtig ist, kann eine bestimmte Zeit lang unter ärztlicher Aufsicht eine solche Diät machen. „Es gibt zwei Programme, die dafür empfohlen werden. Dazu gehören nicht nur die medizinische Begleitung, sondern auch eine psychologische, sowie ein Sportprogramm. Ziel ist, das Essverhalten langfristig zu ändern. Über die Formula-Diäten lässt sich das erreichen. Aber ich betone das noch einmal: Ohne Begleitung ist das abzulehnen. Und länger als drei Monate sollte die Einnahme nicht dauern“, sagt Maria Anna Benedikt. Die Frage sei zudem, wie diese Pulver zusammengesetzt seien. Der Anteil an Nährstoffen sei geregelt, doch oft sei der Anteil an Kohlenhydraten zu hoch oder der Anteil an Ballaststoffen zu gering oder das Eiweiß nicht hochwertig genug. Ballaststoffe etwa sind für den Darm und die Verdauung wichtig.
Der internationale Nahrungsmittelkonzern Nestlé hat kürzlich eine Studie zur Zukunft des Essens veröffentlicht. Zu den Trends für 2030 soll der Wunsch nach Lebensmitteln gehören, die die Leistung steigern und unkompliziert und rasch in Form von Snacks und Fertiggerichten verfügbar sind. Essen wird der Studie zufolge in der Regel eher geliefert als selbst gekocht.
Sollten mehr gesunde Menschen noch öfter als jetzt zu breiigen und flüssigen Nahrungsmitteln greifen, so hat das allerdings auch Auswirkungen, an die derzeit nur Zahnärzte und Kieferorthopäden denken. Der Salzburger Kieferorthopäde Helmut Mayer gehört zu ihnen. Er wird jetzt schon mit einer zunehmenden Anzahl von Kindern konfrontiert, die nicht mehr gelernt haben, ordentlich und mit geschlossenem Mund zu kauen: „Wer nicht kaut, bekommt als Erstes Entzündungen am Zahnfleisch, weil es nicht belastet und massiert wird. Langfristig baut sich der Kieferknochen ab. Fehlstellungen des Kiefers können auf den ganzen Körper nachteilig wirken. Es ist wichtig, das Kausystem richtig zu belasten. Wir sehen Kinder, deren Balance von Zungendruck, Wangendruck und Lippendruck gestört ist. Ihre Gesichtsmuskeln stimmen nicht mehr.“In der Mundhöhle findet zudem der erste Teil des Verdauungsvorgangs statt, indem der Nahrung Speichel zugesetzt wird. Notwendig dafür sind die Amylasen im Speichel. Sie sorgen dafür, dass Kohlenhydrate und Stärke abgebaut werden. Wer gut kaut, schmeckt die Nahrung intensiver. Das Sättigungsgefühl stellt sich rascher ein.