Raben können sich in Artgenossen hineinversetzen
Experimente zeigten, dass Raben ihr Futter so verstecken, als wären die Konkurrenzraben sichtbar.
Raben waren schon im Märchen immer die Schlauesten – und sie sind auch in Wirklichkeit so klug wie Schimpansen. Immer mehr Forschungsergebnisse bestätigen das. Nun lassen Wiener Wissenschafter erneut mit Erkenntnissen aufhorchen: Raben stellen sich vor, was andere Raben sehen können. Zu diesem Ergebnis kommen die Kognitionsbiologen Thomas Bugnyar und Stephan Reber von der Universität Wien gemeinsam mit dem Philosophen Cameron Buckner (University of Houston, Texas).
Bugnyar und sein Team leisten damit einen wichtigen Beitrag in der aktuellen Debatte, ob außer Menschen auch Tiere zu einer „Theory of Mind“fähig sind. Gemeint ist, dass sie die Fähigkeit haben, mentale Zustände wie Intentionen oder Wünsche anderer Lebewesen zu erfassen. Forscher versuchen seit Jahren, diese „Theory of Mind“vor allem bei Schimpansen und Rabenvögeln nachzuweisen. Das Problem bei all diesen Experimenten war aber bis jetzt, dass sich die Tiere an der Kopf- oder Augen- bewegung von Artgenossen orientieren konnten. Die neue Studie verlief erstmals anders: Thomas Bugnyar vom Department für Kognitionsbiologie an der Universität Wien und seine Kollegen testeten die Fähigkeit von Raben, sich in andere hineinzuversetzen, indem sie deren Konkurrenz um verstecktes Futter nutzten. In einem ersten Schritt wiesen sie nach, dass Raben Futter nur dann gut versteckten, wenn dominante Artgenossen im Nachbarraum sichtbar und gleichzeitig hörbar waren.
In einem zweiten Schritt wurde den Raben ein Guckloch gezeigt, das ihnen erlaubte, in den Nachbarraum zu spähen. Falls dieses Guckloch in der Folge offen war und die Raben vom Nachbarraum Laute anderer Raben hörten, versteckten sie ihr Futter in der gleichen Weise, als wären ihre Artgenossen sichtbar. Da die Anwesenheit von Artgenossen beim offenen Guckloch über Playback simuliert wurde, konnten die Raben definitiv nicht das Verhalten von Artgenossen beurteilen. Trotzdem agierten sie, als würden sie beobachtet.
Thomas Bugnyar erklärt das so: „Wir zeigen, dass Raben ihr Futter nur dann gut verstecken, wenn sie andere Raben im benachbarten Raum hören und wenn ein Guckloch zu diesem Raum offen ist. Da die Raben in diesem Fall keine Artgenossen sehen können, sie aber trotzdem reagieren, als würden sie gesehen, kann ihr Verhalten nur über ein Verständnis der Sichtweise der anderen erklärt werden.“
„Die Ergebnisse legen nahe, dass Raben die akustische Information über die Anwesenheit anderer Raben mit ihrer eigenen Erfahrung, dass man durch das Guckloch schauen kann, geistig verbinden können, was mit einer der gängigen Hypothesen übereinstimmt, wie ,Theory of Mind‘ funktionieren könnte“, sagt Bugnyar. Die Arbeit zeige zudem, wie fruchtbar Diskussionen mit Kollegen von anderen Disziplinen sein können, da die Idee zu dieser Studie erst durch regelmäßige Treffen mit Philosophen, vor allem mit Koautor Cameron Buckner, zustande gekommen sei.
Die Forscher publizieren ihre Arbeit in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.