Vor zehn Jahren kam die Vogelgrippe
Die Verunsicherung war damals groß. Rigorose Maßnahmen waren berechtigt. Heutige Ausbrüche werden genau beobachtet. Virologen bleiben den Erregern auf der Spur.
BERLIN. Tausende tote Schwäne, Seuchenmatten, Helfer in weißen Schutzanzügen, die Federvieh in Plastiksäcken sammelten. Ein winziger Erreger – das hochpathogene aviäre Influenzavirus H5N1 – löste vor zehn Jahren den Ausnahmezustand auf Rügen aus und verunsicherte in Europa die Bevölkerung. Zugvögel hatten die vermutlich schon seit Ende der 1990er-Jahre in China und Hongkong grassierende Vogelgrippe über Zwischenstationen eingeschleppt.
„H5N1 war eine neue Dimension“, sagt der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Thomas C. Mettenleiter, rückblickend. Denn anders als alle zuvor bekannten Geflügelpesterreger ist dieser bis heute in der Lage, auf den Men- schen überzugehen und zu töten. Wissenschafter schreiben dem Erreger das Potenzial zu, zu einem Supervirus zu mutieren, das eine Grippe-Pandemie auslösen kann.
Bislang haben sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet. Von 2003 bis Ende 2015 wurden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 846 H5N1Erkrankungen bei Menschen registriert; rund 450 Menschen starben nachweislich durch das Virus.
Andere Staaten verhängten einen Importstopp für deutsches Geflügel. Dort, wo die Seuche ausgebrochen war, wurden Tausende Puten, Enten und Gänse gekeult. Wurde damals überreagiert? „Es war dem damaligen Kenntnisstand angemessen“, sagt Mettenleiter vom FLI, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. „Weil so schnell gehandelt wurde, hat uns H5N1 weder im Nutztierbestand noch im Humanbereich vor eine nachhaltig problematische Situation gestellt.“
Vieles hat sich seitdem geändert. Die Bekämpfungsmaßnahmen wurden verschärft, Krisenpläne initiiert. Virologen untersuchten unter anderem das Überspringen der Barrieren vom Vogel zum Säugetier. Dazu wurden Katzen, Hunde, Schweine und auch Rinder auf der Insel Riems experimentell mit H5N1 infiziert. Nur die Katzen erkrankten und starben. „Es müssen Virus und Wirt zueinander passen wie Schlüssel und Schloss. Das ist bei der Katze eher so als bei anderen Säugetieren“, sagt der Virusdiagnostiker Timm Harder vom FLI.
Weltweit bereitet vor allem der Erreger H7N9 Sorgen, denn er hat aus Sicht der Forscher eine neue Qualität. Als gering krankmachende Variante bleibt er im Geflügel lang unauffällig, kann aber beim Menschen zu Erkrankungen und Todesfällen führen. Seit 2013 wurden weltweit 702 erkrankte Menschen registriert, 277 starben an H7N9. H5N1 sorgt zudem weiter für Ausbrüche, zuletzt in Großbritannien und Ägypten.