Schengen ist mehr als ein Symbol
Die Reisefreiheit ist in der EU zu einem wesentlichen Element des Zusammenhalts geworden. Jetzt ist sie bedroht.
Es gibt in der EU nicht viele Symbole, Einrichtungen und Bestimmungen mit hoher integrativer Kraft. Hymne und Flagge verbinden ein wenig. Der Euro verursacht in den Ländern, in denen er gilt, zwar manchmal Ärger, aber insgesamt sorgt er schon für mehr Zusammenhalt. Ist man in der Eurozone unterwegs, spürt man über das gemeinsame Geld Europa.
Ähnlich ist es mit dem Schengenraum. Das Prinzip der offenen Staaten bei gleichzeitiger strenger Kontrolle der Außengrenzen ist nach jenem Luxemburger Ort benannt, in dem es 1985 beschlossen wurde. In kurzer Zeit wurde es zum Kitt für Europa. Endlich keinen Pass mehr herzeigen an der Grenze zu Bayern, keine stundenlangen Staus auf dem Walserberg. Die befreiende Wirkung dieses gemeinsamen Europa war auch in Österreich vom ersten Tag an spürbar, als am 1. Dezember 1997, zwei Jahre nach unserem EU-Beitritt, die Grenzbalken fielen.
Nicht einmal 20 Jahre später ist es mit dieser Freiheit vorbei. Auf dem Walserberg wird wieder kontrolliert. Auch an den Grenzen zwischen Deutschland, Belgien und Frankreich. Dänemark und Schweden prüfen jetzt genau, wer ins Land kommt.
Die neue Welle der Kontrollen bedeutet nicht nur einen schmerzlichen Freiheitsverlust. Sie ist vor al- lem mit einem großen volkswirtschaftlichen Schaden verbunden. Offene Grenzen bedeuten auch reibungslosen Warenverkehr, keine Wartezeiten, wenig Personal in der Überwachung. Langwierige Kontrollen hingegen belasten nicht nur das Nervenkostüm der Reisenden, sondern auch die Bilanzen der Unternehmen. Der Tourismus stockt, die Transportwirtschaft steht, der Handel muss neue, teure Lager aufbauen. Eine Berechnung der Regierung in Paris hat ergeben, dass die Aufkündigung des Schengenabkommens pro Jahr einen Verlust von 110 Milliarden Euro bedeuten würde. Für Österreich wäre das ein Minus von rund vier Milliarden. Die kritisierten Aufwendungen für die Flüchtlinge wirken im Vergleich dazu geschenkt.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wenn EU-Mitgliedsländer angesichts der heftigen Flüchtlingsbewegung ihre Grenzen wieder streng kontrollieren, teilweise sogar abschotten, so bringt das nicht nur mehr Sicherheit (in welchem Ausmaß, steht ohnehin nicht fest), sondern es bringt auch viele Nachteile für Bürger und Wirtschaft, die wir in Kauf nehmen. Und: Europa würde eines seiner wichtigsten Symbole des Zusammenhalts verlieren.
MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM