Polizisten geben Waffen ab
Norwegen kehrt nach einem Jahr zu einer Tradition zurück, die auch Großbritannien und Neuseeland schätzen. Der Grund: Es ist sicherer.
Lange galt das von geringen sozialen Unterschieden und Ölreichtum geprägte Norwegen als eines der friedlichsten Länder der Welt. Doch die Terroranschläge von Oslo und Utøya im Jahr 2011, bei denen der Rechtsextremist Anders Breivik 77 Menschen ermordete und die Polizei völlig versagte, haben das Sicherheitsgefühl der Norweger erstmals tief erschüttert.
In den folgenden Jahren erhöhte der Geheimdienst die Terrorrisikostufe so weit, dass im November 2014 den rund 6000 traditionell unbewaffneten uniformierten Polizisten erstmals erlaubt wurde, Waffen am Körper zu tragen.
Dazu hatte auch ein Machtwechsel von den Sozialdemokraten hin zu einer bürgerlich-rechtspopulistischen Koalitionsregierung unter Ministerpräsidentin Erna Solberg im Jahr 2013 beigetragen. Bis dahin mussten Polizisten Dienstwaffen in ihren Autos oder Polizeirevieren verschlossen halten und durften sie nur in besonderen Situationen entnehmen. Die zeitlich auf wenige Monate befristete Bewaffnung der Polizei wurde dann immer wieder verlängert. Eigentlich hätte damit im November Schluss sein sollen. Doch die islamistischen Anschläge in Paris führten zu einer weiteren Verlängerung bis zum 3. Februar.
Doch „die fachliche Bewertung der Gesamtlage durch das Polizeidirektorat hat ergeben, dass es keine Gründe mehr zur Fortsetzung einer befristeten Bewaffnung gibt“, begründete Polizeichef Odd Reidar Humlegård.
Die Polizeigewerkschaft ist dagegen. „Man weiß nie, was geschieht, wenn die Polizei zu einem Vorfall ausrückt“, sagte Gewerkschaftschef Sigve Bolstad. Die Polizei veröffentlichte zahlreiche Fälle, bei denen ihrer Ansicht nach nur die Waffen zu einem friedlichen Ausgang in gefährlichen Lagen geführt hatten. Befürworter einer unbewaffneten Polizeitruppe hielten dagegen, dass Beamte allein von Ende November 2014 bis Oktober 2015 mindestens 23 versehentliche Schüsse abgefeuert haben.
Laut Johannes Knutsson, Kriminologieprofessor an der norwegischen Polizeihochschule, führt das Nichttragen von Waffen im Dienst zu einem vorsichtigeren und deeskalierenden Verhalten der Beamten in schwierigen Einsatzsituationen. Er verglich die waffentragende schwedische Polizei mit der waffenlosen norwegischen Polizei vor 2014. Von norwegischen Polizisten werde nicht im gleichen Maße erwartet, Helden zu spielen, weil sie eine Pistole im Halfter griffbereit hätten, sagte er der Zeitung „Aftonbladet“. So würden unbewaffnete norwegische Beamte sich selbst und ihre Umwelt weniger gefährden. Schwedische Polizisten hätten ihre Waffen vor 2014 rund fünf Mal häufiger abgefeuert als norwegische. Die Statistik habe auch gezeigt, dass kein norwegischer Polizist, der seine im Auto verschlosse- ne Waffe eingesetzt hat, verletzt wurde. In Schweden werden acht Prozent der Polizisten, die ihre Waffen nutzen, verletzt. „Es klingt paradox, aber es gibt faktische Belege dafür, dass das Nichttragen von Waffen Polizisten besser schützt“, betont Knutsson.
Auch in Großbritannien, Island, Neuseeland und zwölf der insgesamt 16 Pazifiknationen sind Polizisten auf Patrouille unbewaffnet. Das entgegengesetzte Extrem ist in den USA zu beobachten. Dort ist die Polizei geradezu militarisiert. Im Schnitt töteten US-Polizisten im vergangenen Jahr drei Menschen pro Tag. Dies berichtet der britische „Guardian“auf seiner speziellen Internetseite „The Counted“(„Die Gezählten“). Der letzte Tote des Jahres 2015 war der 23-jährige Keith Childress. Der junge Schwarze wurde am 31. Dezember in Las Vegas von Polizisten erschossen, die ihn mit einem gesuchten Mörder verwechselt hatten. Gemäß offiziellen Angaben hielten die Beamten das Handy, das Childress in der Hand hatte, für eine Waffe.
„Unbewaffnete Beamte gefährden sich und ihre Umwelt weniger.“