Das Alter bremst nicht
Wenn John Cale, der im März 74 Jahre alt wird, ein 33 Jahre altes Werk überarbeitet, erweist sich das nicht als altersbedingte Ideenlosigkeit, sondern als Beweis seiner Wandlungsfähigkeit.
John Cale war allein im Studio. Da erwachten böse Geister, die ihn „Music For A New Society“schreiben ließen. Dieser in die Zukunft weisende Albumtitel war das einzige Hoffnungsvolle, das dieses Werk zu bieten hatte. 1982 erschien es in der Welt des Post-Punk, des New Wave. Es ignorierte alle Vorzeichen der kunterbunt belanglosen Glitzerwelt des 80er-Jahre-Pop. Das Album wurde bejubelt wegen seiner existenzialistischen Tiefe und es wurde wenig gekauft.
Cale hatte im Studio so lange Ideen gewälzt, bis Ängste und Verzweiflung gewannen. „Trostlos und quälend“hatte Cale einst selbst über das Werk geurteilt, eine Art Exorzismus sah er darin. Er verabschiedet sich von allem, was er bis dahin getan hatte. Und weil er zu einer der einflussreichsten Bands des Pop gehört hatte, zu The Velvet Underground, und weil er mit einigen Soloalben als herausragender, sich stets neu suchender Songwriter aufgetaucht war, galt es, schier übermächtige Geister auszutreiben.
Nun, 33 Jahre später, schickt Cale diese Lieder unter dem Akronym „M:fans“noch einmal in ein neues Leben. Und er treibt ihnen das Gespenstische aus. Radikal hat er sich die eigene Arbeit vorgenommen. Nur ein Mal bei „Broken Bird“bleibt er nahe am Original. Da erweist er sich als atemberaubend intensiver Pianist – den kennt, wer Cale schon live gesehen hat. Und so wie er – oft auch solo oder in außergewöhnlichen Formationen (etwa mit Strei- chern) – seine Songs auf der Bühne umformt, sie neu belebt, funktioniert auch das Rework von „Music For A New Society“.
Zwei Anlässe trieben ihn zu dieser Arbeit. Einerseits war es der Tod des langjährigen Freundfeindes Lou Reed vor zwei Jahren. In Anlehnung an ein von Cale vertontes Gedicht seines walisischen Landsmannes Dylan Thomas galt es – „Rage, rage against the dying of the light“– gegen das Sterben oder das kreative Absterben zu arbeiten. Zweiter Anlass war die Gesamtaufführung seines Albums „Paris 1919“. Es gab danach Anfragen, auch „Music For A New Society“als Gesamtwerk auf die Bühne zu bringen. Das musste selbst dem Abenteurer Cale unheimlich vorkommen.
Zu tief lässt das verstörende düstere Original in genau verortbare, auch biografische Abgründe blicken, als dass es Cale heute in seiner Urform noch stehen lassen könnte. Also machte er sich daran, das Werk zu überdenken, ja er dachte es völlig neu, zerlegte jeden Song und hebt dieses Album, ein Dokument innerer Verwüstung, auf eine neue, musikalische, höchst zeitgemäße Ebene. Dabei entschärft er die Songs nicht. Er gibt ihnen mit Elektronik neues Leben, baut sie frisch zusammen. Das hat nichts mit der gängigen Rest- oder Frühwerkverwertung alternder Popstars zu tun. Für Cale, ausgebildet an Bratsche und Klavier, greift bei aller Legendenhaftigkeit die Bezeichnung „Popstar“ohnehin zu kurz. Er blieb wie wenige in diesem Geschäft eigenständig und eigenwillig.
So eine Überarbeitung des Alten wird sonst ja gern als bloße Einfallslosigkeit abgetan, als Beweis der Altersschwäche, zumal im Pop ja mindestens das Heute, aber besser noch das Morgen als relevanter Maßstab herangezogen wird. Das allerdings gilt lange nicht mehr. Erst recht nicht gilt es, wenn ein Mitte-70-Jähriger wie Cale beweist, dass er vor Kraft und Kreativität strotzt.
Wer ins Original hört, mag sich so eine Wandlung zunächst nicht vorstellen können. Vielleicht hat man sich zu sehr gewöhnt an die Macht, mit der diese Songs seit 33 Jahren an der Seele nagen. Völlig zu Recht gilt das Originalwerk als eines der düstersten im Pop. Auch jetzt in der Überarbeitung geht über diesen Songs keine strahlende Sonne auf. Aber wie etwa aus „Chinese Envoy“, einst eine beunruhigende Erzählung, eine tanzbare Nummer wird, unterstreicht die einzige Konstante in Cales Werk: seine geniale Unberechenbarkeit.
Album: