Salzburger Nachrichten

Die Wut ist weiblich

Vor hundert Jahren flogen die Steine: Frauen waren es leid, keine Mitsprache zu haben.

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WIEN. Sie warfen Schaufenst­er ein, zündeten Landsitze an, sprengten Briefkäste­n. Trotzdem blieb der Tonfall der Medien halb belustigt, wenn über die Anschläge der Frauen berichtet wurde: Das schwache Geschlecht mit Pflasterst­einen im Handtäschc­hen, wie kurios! „Suffragett­e – Taten statt Worte“handelt vom Kampf der Britinnen um das Wahlrecht 1910 bis 1913. Zu lange hatten sie freundlich um politische Mitsprache gebeten. Als 1910 eine Gesetzesin­itiative über die Erweiterun­g der Frauenrech­te gescheiter­t war, wurde der Kampf unter Führung von Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) gewalttäti­g.

In Wahrheit ist die Geschichte natürlich wesentlich komplexer: Die Frauenrech­tlerinnen waren sich uneinig, nachzulese­n im Band „Die Suffragett­en“(herausgege­ben von Antonia Meiners, Elisabeth Sandmann Verlag), in dem historisch­e Dokumente und die Protagonis­tinnen der Frauenbewe­gung vorgestell­t werden. Da liegt Material brach, das für Dutzende Filmbiogra­fien, Dramen und vor allem Politthril­ler taugen würde, von widerspens­tigen Weibern und politische­n Intrigen, vom Kampf der Sozialisti­nnen und von dem der bürgerlich­en Frauenrech­tlerinnen.

„Suffragett­e“unter der Regie von Sarah Gavron und nach dem Drehbuch von „Shame“-Autorin Abi Morgan allerdings bricht den Kampf dieser Frauen herunter auf das Schicksal einer einzigen: Die fiktive Wäscherin Maud (Carey Mulligan) ist die Symbolfigu­r, anhand deren Erlebnisse­n das Publikum an allen wesentlich­en historisch­en Eckpunkten vorbeigele­itet wird. Maud muss schon als Kind in einer der Wäschereie­n schuften, unter einem Chef, der sich an den Mädchen vergreift. Die schweren Bottiche, die chemischen Laugen, die brutalen Arbeitszei­ten setzen ihr heftig zu: Das Leben einer Wäscherin zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts ist kurz. Maud ist mit ihrem Kollegen Sonny (Ben Whishaw) verheirate­t, die beiden haben einen kleinen Sohn.

Rechte für Arbeiterin­nen sind inexistent. Erst eine neue selbstbewu­sste Kollegin bringt Maud auf unerhörte Gedanken: Wenn Frauen wählen könnten, dürfte nicht mehr über ihre Köpfe hinweg entschiede­n werden! Tatsächlic­h will der Minister die Protestier­enden anhören, bevor über eine Erweiterun­g der Frauenrech­te entschiede­n wird, und Maud ist diejenige, die über ihre Arbeitsbed­ingungen referieren soll. Doch ihr Plädoyer bleibt umsonst. Die Wut wächst, und es dau- ert nicht lange, bis Maud zum ersten Mal verhaftet wird.

Carey Mulligan spielt diese Maud noch in den bedrückend­sten Szenen mit pragmatisc­hem Minimalism­us, aus dem heraus der Zorn der Frauen um so verständli­cher wird. Als Maud endlich unbequem wird, und ihr nicht nur Heim und Arbeitspla­tz, sondern sogar das Kind genommen wird, ist das atemberaub­end ungerecht. Seltsam nur, dass es in den empörenden Szenen dann den väterliche­n Inspektor Steed (Brendan Gleeson) braucht, wie um Mauds Leid zu legitimier­en. Trotz ihrer persönlich­en Tragödie, trotz Mulligans subtiler Schauspiel­erei bleibt Maud im Zentrum austauschb­ar, der ganze Film wirkt, als würde er am eigentlich­en Geschehen vorbei erzählen. Bei einer bekanntere­n Materie könnte das eine Qualität sein, hier ist es eine vertane Chance. Spannender wäre die Figur der Apothekeri­n Edith Ellyn (Helena Bonham Carter), in deren Hinterzimm­er sich die Suffragett­en treffen, oder jene von Mauds Freundin, deren mutige Tat am Ende tatsächlic­h die Geschichte verändert.

„Suffragett­e“leidet darunter, es allen recht machen zu wollen – verständli­cherweise, schließlic­h ist Sa- rah Gavrons Film der einzige auf weiter Flur zum Thema.

Filme über den Kampf um die Unabhängig­keit Nordirland­s etwa gibt es fast so viele wie IRA-Kämpfer, aber das filmische Interesse für den politische­n Kampf um die Gleichbere­chtigung der Frauen ist minimal. „Suffragett­e“hätte groß und zornig werden können, bleibt aber zu brav.

Film:

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BILD: SN/FILMLADEN Eingesperr­t im Kampf für Frauenrech­te: Carey Mulligan spielt die Wäscherin Maud.

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