Salzburger Nachrichten

Friedrich Dürrenmatt, der Mann vor dem Karren

- Filmstarts der Woche lena Dürrenmatt – Eine Liebesgesc­hichte. Dokumentar­film, Schweiz 2015. Regie: Sabine Gisiger. Start. 5. 2.

Erst beim Tod der Mutter, behaupten die Kinder, merken sie überhaupt, dass ein Vater da ist. Der Vater, das ist der Schriftste­ller, Maler, Denker und selbstdefi­nierte Epikureer Friedrich Dürrenmatt. Die Mutter, das ist Lotti, die Geliebte, die andauernde Echokammer des Schriftste­llers, das Gegenüber, ohne das kein Text zu Ende gedacht werden kann. „Dürrenmatt – Eine Liebesgesc­hichte“heißt der Dokumentar­film, den die Schweizeri­n Sabine Gisiger gemacht hat, im Gespräch mit dem Sohn Peter, Priester wie schon Dürrenmatt­s Vater („eingeklemm­t zwischen zwei Pfarrern“, sagte Dürrenmatt zu Lebzeiten), und im Gespräch mit der Tochter Ruth Dürrenmatt. Beide hatten sich übrigens vor Jahren noch geweigert, mit dem Biografen ihres Vaters zu sprechen. Vor Gisigers Kamera erinnern sie sich aber: Wie alles stillstehe­n musste, wenn der Vater Aufmerksam­keit brauchte, wie sich alles leise unterzuord­nen hatte, wenn er schrieb.

„Ein Mann muss Ballast haben, einen Karren, den er zu ziehen hat, sonst kriegt er keinen Schwung“, notierte Dürrenmatt auf, und meinte damit die Familie. Das klingt ja eher nicht nach Liebe, und doch muss es wohl Liebe sein. Was genau aber die große Liebe in Dürrenmatt­s Le- ben ist, bleibt offen: die zu seiner ersten Frau, der Schauspiel­erin Lotti Geißler, oder doch die zum Theater, der „Synthese von Literatur und Malerei“. Oder zum maßlosen Genuss, Wein, Tabak, Fleisch, noch mehr Wein. Oder die Liebe zum zweiten Lotti, der Schauspiel­erin und Schriftste­llerin Charlotte Kerr, die er ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet, und mit der er Filme umsetzt, wieder kreativ zusammenar­beitet.

Die Urnen beider Lottis sind heute im Dürrenmatt-Garten unter einem Baum begraben, gemeinsam mit ihm, und wissen das nicht voneinande­r. Hauptsache, der Dürrenmatt ist nicht allein, darüber lacht Tochter Ruth heute noch.

Umfangreic­he Archivaufn­ahmen, Dürrenmatt im Atelier, immer wieder eingeordne­t von den Kindern: Gisigers Film ist ein üppiger, witziger, weiser dokumentar­ischer Essay, der einen sich rückbesinn­en lässt auf den großen Dramatiker und komplizier­ten Mann. Besseres ist einem Publikum nicht zu wünschen.

Film:

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