Ziemlich beste Feinde
Die ÖVP stichelt gegen die SPÖ. Arbeitet da jemand am Absprung in eine neue Koalition?
WIEN. Man kann den Druck auf den Partner auf verschiedene Weise erhöhen. Etwa so wie ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka. 2. Februar: Lopatka fordert eine Deckelung der Mindestsicherung für Zuwanderer. 3. Februar: Lopatka fordert Reformen bei den Pensionen. 19. Februar: Lopatka schlägt vor, die Arbeitsagenden aus dem roten Sozialministerium ins schwarze Wirtschaftsministerium zu übersiedeln. Alle drei Forderungen zielten ins Herz der SPÖ. Entsprechend verstimmt reagierte der Koalitionspartner.
Man kann den Druck auf die SPÖ auch so aufbauen wie Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. 10. Februar: In seiner Aschermittwoch-Rede empfiehlt Leitl der ÖVP, vom Schlafwagen in den ICE umzusteigen. Was allgemein als ein Plädoyer für einen Koalitionswechsel zur FPÖ verstanden wird. 20. Februar: Aus dem fernen Mumbai richtet Leitl der ÖVP aus, sie möge die Koalition mit der SPÖ beenden und es stattdessen mit einer Minderheitsregierung versuchen. Die SPÖ reagierte mit einer grämlichen Aussendung.
Man kann es auch so anlegen wie Sebastian Kurz, der in einsamen Umfrage-Höhen seine Kreise zieht. Und in dem viele den nächsten ÖVP-Chef, vielleicht sogar bereits den ÖVP-Spitzenkandidaten bei der nächsten Nationalratswahl sehen. Der medientaugliche Außenund Integrationsminister treibt die SPÖ mit seinen Vorschlägen zur In-
Das Städtchen Imst im Tiroler Oberland treibt es bei den Gemeinderatswahlen am kommenden Sonntag besonders bunt: Zehn Listen treten gegeneinander an. Das sind so viele wie in keiner anderen Gemeinde im Land. Wobei: Vier bis fünf Listen sind oder waren irgendwann einmal der ÖVP zuzuordnen. „Das ist ein dermaßen verworrener Spaltungsprozess, dass man gar nicht mehr weiß, wer sich wann von der ÖVP abgespalten hat“, sagt der Innsbrucker Politikwissenschafter Ferdinand Karlhofer.
Dass mehrere schwarze Listen oder Bürgermeisterkandidaten tegration und seinen Untersuchungen über die Wiener islamischen Kindergärten vor sich her. Viele in der SPÖ reagieren schon auf seine bloße Existenz gereizt, man erinnern sich an die Wiener Stadträtin Sonja Wehsely, die dem Minister bei einem gemeinsamen Medienauftritt entnervt ins Wort fiel.
Wer die Aktivitäten des Außenministers in Zusammenhang mit den Äußerungen der Herren Leitl und Lopatka setzt, der muss zum Schluss kommen: Es braut sich etwas zusammen in der ÖVP. Offenbar gewinnen jene Kräfte die Oberhand, die die Koalition mit der SPÖ beenden wollen. Oder etwa nicht?
Lopatka dementiert auf SN-Anfrage derlei Absichten ganz entschieden: „Ich kenne für unser Land keine bessere Regierungskonstellation“, versichert er. Seine politischen Vorstöße seien ausschließlich inhaltlich motiviert ge- wesen. „Die Herausforderungen sind groß, das führt eben zu Spannungen“, sagt Lopatka und wirft der SPÖ Verzögerungstaktik vor. Ob es nun ums Staatsschutzgesetz gehe, um Obergrenzen für Flüchtlinge oder um Asyl auf Zeit: „Die ÖVP hat all das monatelang gefordert, die SPÖ hat monatelang abgeblockt und ist erst nach langem Drängen unseren Forderungen nachgekommen.“Er, Lopatka, sehe seine Aufgabe darin, bei der SPÖ offensiv für die Umsetzung der gemeinsamen bei Gemeinderatswahlen gegeneinander antreten, hat in Tirol Tradition – und meist den Segen der Landespartei: Das Antreten mehrerer Listen, die mehrere Strömungen innerhalb der Partei abbilden, ist ein Vorteil, denn am Schluss fließen doch alle Stimmen und viele Reststimmen der großen ÖVP-Familie zu. Das mögliche Koppeln von Listen wird daher auch vor allem von der ÖVP genutzt. Aufgrund der Bündestruktur eigentlich genial. Doch die Zeiten ändern sich.
„Vor zwölf Jahren war für die Tiroler ÖVP die Welt noch in Ordnung“, sagt Karlhofer. Denn da habe die ÖVP die vielen Listen noch „mit großer Zuverlässigkeit“addieren und sich zurechnen können. Seither Politik zu sorgen. Eine Beendigung der Koalition liege ebenso wenig in seiner Absicht wie vorzeitige Neuwahlen, versichert der Chef der schwarzen Parlamentsfraktion.
Tatsächlich hätte die ÖVP – glaubt man aktuellen Umfragen – bei vorzeitigen Neuwahlen nicht viel zu gewinnen. Derzeit liegt die FPÖ unangefochten auf Platz eins, weit dahinter balgen sich Sozialdemokraten und Volkspartei um den zweiten Platz. Aus diesen Umfragen kann man beim besten Willen keinen allgemeinen Wunsch der Österreicher nach einem schwarzen Kanzler herauslesen.
In der ÖVP gibt es freilich eine Denkrichtung, die diese Umfragen ganz anders interpretiert. Die Anhänger dieser Denkrichtung ziehen aus den miserablen Umfrageergeb- aber sei eine „Eigendynamik“in Gang gekommen, die man schon nach der Wahl 2010 beobachtet habe: Eine „Verselbstständigung von Listen, die einmal als ÖVP-Listen begonnen haben und sich dann als immer parteiunabhängiger begriffen haben“, sagt Karlhofer. Nun werde sich dieser Trend verschärfen, sagt er: „Die Tiroler ÖVP wird sich nach geschlagener Gemeinderatswahl schwerer denn je tun, ihre Herde einzusammeln und durchzuzählen.“Weil viele Listen nicht mehr eindeutig mit der ÖVP verbunden werden wollten, weil manche dezidiert sagten: Wir sind unabhängig. Karlhofer: „Das stellt die ÖVP vor ein Zählproblem.“
Bei der Listen-Namensgebung nissen den Schluss, dass die ÖVP in aufrechter Koalition mit der SPÖ dem Untergang geweiht sei. Die einzige Chance auf Rettung wäre ein spektakulärer Befreiungsschlag: Ende der Koalition, Neuwahlen, Neubeginn in einer Koalition mit der FPÖ. Erinnerungen an die Ära Schüssel werden wach. Damals ging die ÖVP eine Koalition mit der stimmenstärkeren FPÖ ein, drückte diese in der Regierung an die Wand und feierte nach zwei Jahren einen der größten Wahlsiege in der ÖVPGeschichte.
Dieses Erfolgsrezept wird sich freilich nicht wiederholen lassen. Denn zum einen lag die FPÖ damals nur um 415 Stimmen vor der ÖVP, die Parteien waren also faktisch gleich stark. Zum anderen überließ damals die FPÖ der ÖVP das Kanz- verzichten die meisten Listen ohnehin schon längst auf eine explizite Parteinennung. In Imst etwa heißen die Listen dann „Vereint für Imst“oder „Alle für Imst“etc. – nichtssagende Allerweltsnamen.
Das allgemeine Phänomen, dass man sich immer weniger zu einer Partei bekennen will, sei in Tirol teils auch selbst verschuldet: „Noch unter LH Wendelin Weingartner (er war bis 2002 Landeshauptmann, Anm.) nahm man bei der Landtagswahl den Parteinamen heraus und kandidierte unter der Überschrift: ,Wir Tiroler‘.“Nun, sagt Ferdinand Karlhofer, werde die ÖVP „langsam zum Opfer ihrer eigenen Strategie, dass sie nämlich den Parteinamen weggeschwindelt hat und dass sie leramt, was sie diesmal wohl vermeiden würde. Und zum Dritten gilt, was Wiens Bürgermeister Michael Häupl dieser Tage in einem „Presse“-Interview feststellte: „Ich sehe einen Doktor Wolfgang Schüssel in der ÖVP derzeit weit und breit nicht.“
Die SPÖ reagiert zunehmend gereizt auf die Attacken ihres Partners, sie hat diesen aber nicht allzu viel entgegenzusetzen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid forderte am Wochenende ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner auf, ein „klares Bekenntnis“zum Fortbestand der Koalition abzugeben. Dieses lieferte Mitterlehner nur halbherzig. Über einen Sprecher ließ er mitteilen, dass das Koalitionsübereinkommen gelte.
Zumindest bis auf Weiteres.
Wenn man langsam zum Opfer der eigenen Strategie wird – oder: „Die Tiroler ÖVP wird sich nach der Gemeinderatswahl schwerer denn je tun, ihre Herde einzusammeln“
nun da und dort tatsächlich verschwunden ist“.
Sorgen muss sich die ÖVP um ihre Vormachtstellung bei den Gemeinderatswahlen am Sonntag (ohne Innsbruck) dennoch keine machen: Nur die ÖVP ist in allen 278 Gemeinden präsent. Mit rund 2500 von insgesamt 3676 Mandaten (ohne Innsbruck) ist sie mehr als fünf Mal und mit 236 von 278 Bürgermeistern fast neun Mal so stark wie die SPÖ, die in 117 Gemeinden vertreten ist und 25 Bürgermeister stellt. Die FPÖ kandidiert in rund 80 Gemeinden, die Grünen in etwas mehr als 40. In 31 Gemeinden gibt es überhaupt nur eine Einheitsliste – und Einheitslisten sind in Tirol traditionell eine Domäne der ÖVP.