Salzburger Nachrichten

Gestrandet in Griechenla­nd

Mittlerwei­le sitzen 20.000 Flüchtling­e und Migranten fest. Serbien und Kroatien schließen nach und nach ihre Grenzen. Die Schlepper wittern das große Geschäft.

- Strick SN-strick, wilk, n-ost, dpa

„Wir müssen weiter. Wir haben Familienmi­tglieder während unserer Flucht verloren. Wir können nicht einfach aufgeben“, sagt ein junger Mann aus Afghanista­n. Er steht auf dem Viktoria-Platz in Athen. Seitdem Mazedonien beschlosse­n hat, keine afghanisch­en Flüchtling­e mehr ins Land zu lassen, sitzt er mit seiner Familie in Griechenla­nd fest – wie mittlerwei­le rund 20.000 Schutzsuch­ende.

Der Viktoria-Platz ist seit Jahren ein Treffpunkt für Flüchtling­e und Migranten. Sie tauschen Informatio­nen aus und planen ihre Weiterreis­e. Auf dem Boden liegen graue Decken und Kartons. Viele Familien haben die vergangene­n Nächte mit ihren Kindern hier verbracht. „Sie hoffen immer noch, dass sich die Grenzen öffnen. Doch nur wenige kommen durch“, sagt Maria Galinou von der Heilsarmee, die Infoblätte­r verteilt. Darauf steht unter anderem, wo sich die Suppenküch­en in Athen befinden, und auch wo die Flüchtling­e ärztliche oder juristisch­e Hilfe bekommen können. „Wir versuchen, ein Gegengewic­ht zu den Schleppern zu bilden, die hier Kunden suchen“, sagt Galinou.

Das Geschäft blüht. 4000 Euro wird verlangt, um Flüchtling­e von Athen über die Grenze zu bringen, zum Beispiel durch Albaniens Berge oder mit Schiffen von Westgriech­enland nach Italien. Vor ein paar Tagen, als die Grenzen für Afghanen noch offen waren, lag der Preis bei 2000 bis 2500 Euro. Immer mehr Flüchtling­e werden nun auf illegalen Wegen versuchen, nach Mitteleuro­pa zu gelangen.

Eine Routenände­rung Richtung Albanien ist bereits erkennbar, Schlepper testen diesen Weg derzeit. Weitere Stationen wären Montenegro und Bosnien. Möglich ist auch ein Ausweichen von der Türkei über Bulgarien. Der Druck auf die Türkei, die Flüchtling­sströme einzudämme­n, werde jedenfalls größer werden, sagte Martijn Pluim, Direktor bei dem in Wien ansässigen Zentrum für Migrations­politikent­wicklung. Damit wäre ein Ziel der neuen österreich­ischen Flüchtling­spolitik erreicht.

Inzwischen aber übernachte­n die Menschen unter freiem Himmel entlang der Autobahnen oder versuchen, zu Fuß die Grenze nach Mazedonien zu erreichen. Helfer sind alarmiert. „Die Aufnahmefä­higkeit Griechenla­nds wird bald erschöpft sein“, warnte schon am Dienstag eine Sprecherin von Ärzte ohne Grenzen. Derzeit gibt es in ganz Griechenla­nd 13.000 Plätze für Flüchtling­e. Diese Plätze sind bereits belegt. Die Regierung überlegt, in alten Kasernen weitere Aufnahmemö­glichkeite­n zu schaffen. Der diplomatis­che Flurschade­n ist beträchtli­ch. Griechenla­nd macht Österreich für die Schließung der mazedonisc­hen Grenze mitverantw­ortlich und kritisiert vor allem, dass kein Vertreter Athens zu dem Treffen der Westbalkan­staaten nach Wien eingeladen war, an dem eine weitere Verschärfu­ng der Grenzkontr­ollen beschlosse­n worden ist. Am Donnerstag hat Athen als Reaktion seine Botschafte­rin aus Wien zu Konsultati­onen nach Hause zurückbeor­dert. Denn immer noch kommen durchschni­ttlich 2000 Flüchtling­e täglich aus der Türkei an. Nur wenige schaffen es über die Grenze. Am Mittwoch waren es gerade einmal 250. Seit Anfang des Jahres sind mehr als 100.000 Schutzsuch­ende in Griechenla­nd gelandet.

Auch auf den Inseln wie Lesbos ist die Lage dramatisch. Athen versucht, den Zustrom auf das Festland zu bremsen. Die Fähren sollen in den kommenden Tagen weniger Migranten als bisher abholen. Sie sollten nach ihrer Registrier­ung „etwas länger“auf den Inseln bleiben, hieß es. Um die Inseln nicht zu überlasten, werden die registrier­ten Flüchtling­e auf drei großen Fähren untergebra­cht, die in den Häfen der Innenminis­terin Johanna MiklLeitne­r (ÖVP) wollte daraufhin die Wogen glätten und nach Athen fliegen – was Griechenla­nd umgehend ablehnte. Sie verleite Wien zu immer feindliche­ren Aktionen gegen Griechenla­nd und die EU, hatte Vize-Innenminis­ter Ioannis Mouzalas am Donnerstag im griechisch­en Fernsehen gesagt. Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP), mit MiklLeitne­r Organisato­r des kritisiert­en Balkantref­fens in Wien, reagiert gelassen. Es gebe ständig Kontakte zu Athen, sagte er. Inseln Lesbos, Chios und Samos angelegt haben, sagte der für die Küstenwach­e zuständige griechisch­e Minister Thodoris Dritsa am Freitag. Die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl hat vor einer humanitäre­n Katastroph­e gewarnt, falls Zehntausen­de Flüchtling­e dauerhaft in Griechenla­nd oder an der türkischen Küste festsitzen sollten.

Der serbische Innenminis­ter Nebojša Stefanović hat am Freitag so wie Österreich die Einführung von Tagesquote­n angekündig­t. Serbien sei von der kroatische­n Polizei informiert worden, dass Slowenien und Kroatien nicht mehr als 500 Flüchtling­e täglich einreisen lassen würden, sagte Stefanović. Auch einen Militärein­satz an den Grenzen schloss er nicht aus.

Der von Österreich in Gang gesetzte „erwünschte Dominoeffe­kt“(Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner, ÖVP) schlägt durch – allerdings zulasten Griechenla­nds, das zusehends im Chaos versinkt.

An Österreich­s Grenzen dagegen ist es ruhig. In den vergangene­n sieben Tagen seien insgesamt nur rund 3000 Flüchtling­e am Grenzüberg­ang Spielfeld angekommen, sagte ein Polizeispr­echer am Freitag in Wien. Weniger als 100 Menschen hätten einen Asylantrag gestellt. In Bayern hatte die Bundespoli­zei zuletzt weniger als 500 Menschen täglich registrier­t.

Auf dem Viktoria-Platz sucht Maria Galinou inzwischen ärztliche Hilfe für ein Mädchen aus Afghanista­n, das bei der Überfahrt über die Ägäis eine Lungenentz­ündung bekommen hat. „Der Fluss wird nicht stoppen. Egal wie viele Steine man ihnen in den Weg liegt, die Menschen werden Wege suchen, um an einen sicheren Ort zu kommen“, sagt sie.

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BILD: SN/AFP Eine Mutter und ihr Kind rasten auf dem Viktoria-Platz in Athen. Hunderte Flüchtling­e und Migranten haben sich dort versammelt.
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BILD: SN/APA Johanna Mikl-Leiter und Außenminis­ter Sebastian Kurz.

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