Salzburger Nachrichten

„Da wird Apartheid gefordert“

Stimmungss­chwenk. Welchen Kurs schlägt Deutschlan­d in der Flüchtling­spolitik ein? Der Kölner Flüchtling­srat zeichnet ein pessimisti­sches Bild.

- THOMAS HÖDLMOSER

Zwei Schilder stechen im Büro von Claus-Ulrich Prölß ins Auge. „Tür Auf“, steht auf dem einen geschriebe­n, „Rauhere Zeiten“auf dem anderen. Der Leiter des Kölner Flüchtling­srats sieht sein Land in der aktuellen Krise nach rechts rücken. SN: Die Zahl der Flüchtling­e in Köln hat sich in einem Jahr auf rund 12.000 verdoppelt. Wie viele kann Köln noch aufnehmen? Prölß: Köln hat jedenfalls die Aufnahmequ­ote noch längst nicht erfüllt. Was die Zahl betrifft: 12.000 Flüchtling­e sind nicht viel bei einer Millionens­tadt. SN: Aber wie viele kann die Stadt noch aufnehmen? Was ist realistisc­h? Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Tatsache ist, dass Köln wie andere Kommunen große Probleme hat, was die Unterbring­ung angeht. In der Stadt Köln gibt es ein Vier-Phasen-Modell. Das sieht in der ersten Phase die Unterbring­ung in Hallen vor. Die zweite Phase ist die Container-Unterbring­ung, dritte Phase sind abgeschlos­sene Wohneinhei­ten und vierte Phase sind Wohnungen. Die Phasen drei und vier existieren nicht. Es gibt im Moment vor allem Phase eins – damit sind in erster Linie Turnhallen gemeint und Leichtbauh­allen für 400 Personen pro Standort. Das ist aus unserer Sicht natürlich kein Konzept, sondern ein Armutszeug­nis, weil die Hallenunte­rbringung für besonders schutzbedü­rftige Personengr­uppen unzumutbar ist. Und diese Form der Unterbring­ung ist auf Dauer ausgericht­et. Denn es gibt dazu keine Alternativ­en . . . SN: . . . weil die benötigten Wohnungen fehlen. Das Problem in der Stadt Köln war und ist, dass die zuständige­n Dezernate nicht zusammenar­beiten. Für die Unterbring­ung ist das Amt für Wohnungswe­sen zuständig. Das hat aber keine Wohnungen, keine Gebäude, keine Grundstück­e. Deswegen gibt es andere Dezernate, die zuständig sind für Grundstück­e und für das Bauen. Das war immer das große Problem in den letzten Jahren, dass die Stelle, die zuständig ist für Liegenscha­ften, andere Interessen hatte – nämlich Liegenscha­ften teuer zu verkaufen, oder zu planen, um Projekte umzusetzen. Der letzte Oberbürger­meister war nicht willens oder nicht in der Lage, ein einheitlic­hes Verwaltung­shandeln herzustell­en. SN: Das heißt, es gibt keine zentrale Koordinati­on. Bislang nicht. Die Oberbürger­meisterin Henriette Reker hat ja schon im Wahlkampf gesagt, dass sie genau das ändern will. Bis jetzt gibt es keinerlei Änderungen. Das werfen wir ihr auch ein bisschen vor. In Kürze wird es eine Stabsstell­e direkt bei der Oberbürger­meisterin geben, ein Flüchtling­skoordinat­or soll dort tätig werden. SN: Wie offen sind die Kölner aus Ihrer Sicht, was die Aufnahme weiterer Flüchtling­e betrifft? Das kann Ihnen im Moment niemand sagen, weil es keine qualifizie­rten Umfragen gibt. Tatsache ist, dass sich das Klima geändert hat, dass mittlerwei­le auch bestimmte soziale Milieus der bürgerlich­en Mitte öffentlich Prinzipien des Rechtsstaa­tes infrage stellen. Das ist neu für Köln. In Leserbrief­en heißt es: Flüchtling­e raus. Auch Leute, die vorher nichts gesagt haben oder positiv eingestell­t waren, haben jetzt, nach Silvester, eine andere Haltung – und sie äußern sich, und zwar irrational. Das macht mir auch persönlich Sorgen. Es wird völlig ignoriert, dass es internatio­nale Verpflicht­ungen gibt, die man einhalten muss. SN: Kommt die Kritik direkt zu Ihnen? Es kommen Drohbriefe und auch gut gemeinte Ratschläge von Bürgerinne­n und Bürgern, freundlich­e Briefe, in denen gefordert wird, wir sollten uns dafür einsetzen, dass Flüchtling­smänner ein Mal in der Woche einen Badetag bekommen in öffentlich­en Schwimmbäd­ern und ansonsten Badeverbot. Da wird praktisch Apartheid gefordert. Diese Briefe sind wohlmeinen­d, aber rassistisc­h. Das verträgt sich absolut nicht mit unserem Rechtssyst­em. SN: Sehen Sie einen Schwenk in der öffentlich­en Meinung? Im Moment ist eine sehr diffuse Stimmung. Soziale Milieus der bürgerlich­en Mitte fan- gen an zu hetzen. Sie äußern sich in der Hinsicht, dass die Zahl der Flüchtling­e unbedingt begrenzt werden muss, dass wir zu viel Islam haben und zu viel Kriminalit­ät. Da wird nicht mehr differenzi­ert. Was ich sehe, ist, dass wir in Deutschlan­d einen Rechtsruck haben. Im letzten Jahr gab es nicht nur einen Anstieg der Flüchtling­szahlen, sondern auch einen dramatisch­en Anstieg der Übergriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te, auch auf Flüchtling­e, auf jüdische Einrichtun­gen. Jetzt, im Rahmen des Asylpakets II, werden AfD-Forderunge­n umgesetzt, in der Hoffnung, dass man immer noch gewählt wird. Die Vergangenh­eit hat aber gezeigt, dass, wenn man hier Gesetze verschärft, diejenigen profitiere­n, die auf der anderen Seite sind. Insofern graut es mir sehr vor den nächsten Landtagswa­hlen, auch vor der nächsten Bundestags­wahl. SN: Wurde die Arbeit für die Flüchtling­shelfer seit den sexuellen Übergriffe­n in der Silvestern­acht schwierige­r? Wir werden schon mal dafür kritisiert, weil wir angeblich so freundlich zu Flüchtling­en sind. Aber bei den Willkommen­sinitiativ­en herrscht die Stimmung: Jetzt erst recht! SN: Wie erklären Sie sich das Engagement Deutschlan­ds für die Flüchtling­e? Sind die Deutschen die letzten guten Europäer? Warum Deutsche flüchtling­sfreundlic­h sind, weiß ich nicht. Hier in Deutschlan­d herrscht noch eine bestimmte Rechtsstaa­tlichkeit. Diese Verpflicht­ungen haben andere Staaten auch, sie brechen sie aber. Das Wertesyste­m in der EU zerfällt und zerfällt. Es gibt keine Flüchtling­skrise, sondern eine politische Krise der EU. Es gibt Richtlinie­n, die sind verdammt nochmal auch in Ungarn und in Bulgarien gültig. Diese Staaten setzen Vereinbaru­ngen nicht um, ohne dass sie dafür sanktionie­rt werden. SN: Wie wird es weitergehe­n? Die Prognose ist, dass die Zugangszah­len sinken werden. Ich glaube, dass peu à peu bestimmte Maßnahmen der Abschrecku­ng und Abschottun­g der EU-Staaten greifen werden. Ich finde aber nicht, dass das die Situation entspannt. Ich finde es dramatisch, wenn das so kommt, denn es bedeutet, dass es viel mehr Tote geben wird.

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