„Da wird Apartheid gefordert“
Stimmungsschwenk. Welchen Kurs schlägt Deutschland in der Flüchtlingspolitik ein? Der Kölner Flüchtlingsrat zeichnet ein pessimistisches Bild.
Zwei Schilder stechen im Büro von Claus-Ulrich Prölß ins Auge. „Tür Auf“, steht auf dem einen geschrieben, „Rauhere Zeiten“auf dem anderen. Der Leiter des Kölner Flüchtlingsrats sieht sein Land in der aktuellen Krise nach rechts rücken. SN: Die Zahl der Flüchtlinge in Köln hat sich in einem Jahr auf rund 12.000 verdoppelt. Wie viele kann Köln noch aufnehmen? Prölß: Köln hat jedenfalls die Aufnahmequote noch längst nicht erfüllt. Was die Zahl betrifft: 12.000 Flüchtlinge sind nicht viel bei einer Millionenstadt. SN: Aber wie viele kann die Stadt noch aufnehmen? Was ist realistisch? Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Tatsache ist, dass Köln wie andere Kommunen große Probleme hat, was die Unterbringung angeht. In der Stadt Köln gibt es ein Vier-Phasen-Modell. Das sieht in der ersten Phase die Unterbringung in Hallen vor. Die zweite Phase ist die Container-Unterbringung, dritte Phase sind abgeschlossene Wohneinheiten und vierte Phase sind Wohnungen. Die Phasen drei und vier existieren nicht. Es gibt im Moment vor allem Phase eins – damit sind in erster Linie Turnhallen gemeint und Leichtbauhallen für 400 Personen pro Standort. Das ist aus unserer Sicht natürlich kein Konzept, sondern ein Armutszeugnis, weil die Hallenunterbringung für besonders schutzbedürftige Personengruppen unzumutbar ist. Und diese Form der Unterbringung ist auf Dauer ausgerichtet. Denn es gibt dazu keine Alternativen . . . SN: . . . weil die benötigten Wohnungen fehlen. Das Problem in der Stadt Köln war und ist, dass die zuständigen Dezernate nicht zusammenarbeiten. Für die Unterbringung ist das Amt für Wohnungswesen zuständig. Das hat aber keine Wohnungen, keine Gebäude, keine Grundstücke. Deswegen gibt es andere Dezernate, die zuständig sind für Grundstücke und für das Bauen. Das war immer das große Problem in den letzten Jahren, dass die Stelle, die zuständig ist für Liegenschaften, andere Interessen hatte – nämlich Liegenschaften teuer zu verkaufen, oder zu planen, um Projekte umzusetzen. Der letzte Oberbürgermeister war nicht willens oder nicht in der Lage, ein einheitliches Verwaltungshandeln herzustellen. SN: Das heißt, es gibt keine zentrale Koordination. Bislang nicht. Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat ja schon im Wahlkampf gesagt, dass sie genau das ändern will. Bis jetzt gibt es keinerlei Änderungen. Das werfen wir ihr auch ein bisschen vor. In Kürze wird es eine Stabsstelle direkt bei der Oberbürgermeisterin geben, ein Flüchtlingskoordinator soll dort tätig werden. SN: Wie offen sind die Kölner aus Ihrer Sicht, was die Aufnahme weiterer Flüchtlinge betrifft? Das kann Ihnen im Moment niemand sagen, weil es keine qualifizierten Umfragen gibt. Tatsache ist, dass sich das Klima geändert hat, dass mittlerweile auch bestimmte soziale Milieus der bürgerlichen Mitte öffentlich Prinzipien des Rechtsstaates infrage stellen. Das ist neu für Köln. In Leserbriefen heißt es: Flüchtlinge raus. Auch Leute, die vorher nichts gesagt haben oder positiv eingestellt waren, haben jetzt, nach Silvester, eine andere Haltung – und sie äußern sich, und zwar irrational. Das macht mir auch persönlich Sorgen. Es wird völlig ignoriert, dass es internationale Verpflichtungen gibt, die man einhalten muss. SN: Kommt die Kritik direkt zu Ihnen? Es kommen Drohbriefe und auch gut gemeinte Ratschläge von Bürgerinnen und Bürgern, freundliche Briefe, in denen gefordert wird, wir sollten uns dafür einsetzen, dass Flüchtlingsmänner ein Mal in der Woche einen Badetag bekommen in öffentlichen Schwimmbädern und ansonsten Badeverbot. Da wird praktisch Apartheid gefordert. Diese Briefe sind wohlmeinend, aber rassistisch. Das verträgt sich absolut nicht mit unserem Rechtssystem. SN: Sehen Sie einen Schwenk in der öffentlichen Meinung? Im Moment ist eine sehr diffuse Stimmung. Soziale Milieus der bürgerlichen Mitte fan- gen an zu hetzen. Sie äußern sich in der Hinsicht, dass die Zahl der Flüchtlinge unbedingt begrenzt werden muss, dass wir zu viel Islam haben und zu viel Kriminalität. Da wird nicht mehr differenziert. Was ich sehe, ist, dass wir in Deutschland einen Rechtsruck haben. Im letzten Jahr gab es nicht nur einen Anstieg der Flüchtlingszahlen, sondern auch einen dramatischen Anstieg der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, auch auf Flüchtlinge, auf jüdische Einrichtungen. Jetzt, im Rahmen des Asylpakets II, werden AfD-Forderungen umgesetzt, in der Hoffnung, dass man immer noch gewählt wird. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass, wenn man hier Gesetze verschärft, diejenigen profitieren, die auf der anderen Seite sind. Insofern graut es mir sehr vor den nächsten Landtagswahlen, auch vor der nächsten Bundestagswahl. SN: Wurde die Arbeit für die Flüchtlingshelfer seit den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht schwieriger? Wir werden schon mal dafür kritisiert, weil wir angeblich so freundlich zu Flüchtlingen sind. Aber bei den Willkommensinitiativen herrscht die Stimmung: Jetzt erst recht! SN: Wie erklären Sie sich das Engagement Deutschlands für die Flüchtlinge? Sind die Deutschen die letzten guten Europäer? Warum Deutsche flüchtlingsfreundlich sind, weiß ich nicht. Hier in Deutschland herrscht noch eine bestimmte Rechtsstaatlichkeit. Diese Verpflichtungen haben andere Staaten auch, sie brechen sie aber. Das Wertesystem in der EU zerfällt und zerfällt. Es gibt keine Flüchtlingskrise, sondern eine politische Krise der EU. Es gibt Richtlinien, die sind verdammt nochmal auch in Ungarn und in Bulgarien gültig. Diese Staaten setzen Vereinbarungen nicht um, ohne dass sie dafür sanktioniert werden. SN: Wie wird es weitergehen? Die Prognose ist, dass die Zugangszahlen sinken werden. Ich glaube, dass peu à peu bestimmte Maßnahmen der Abschreckung und Abschottung der EU-Staaten greifen werden. Ich finde aber nicht, dass das die Situation entspannt. Ich finde es dramatisch, wenn das so kommt, denn es bedeutet, dass es viel mehr Tote geben wird.