Salzburger Nachrichten

Ein Flüchtling schlägt zurück

Das Thema der Stunde provoziert auch künstleris­che Auseinande­rsetzungen – etwa den Roman „Ohrfeige“.

- Bef Abbas Khider, Ohrfeige, Roman. 224 Seiten Hanser Verlag, München 2016.

Flüchtling­e und vor allem ihre überall schier ausweglose Situation sind das Thema der Stunde. Das schlägt sich auch in der Kunst nieder.

In Theatern werden sogar schon journalist­ische Texte für die Bühne bearbeitet, um dem Thema echt nahezukomm­en. In der Literatur gehören Topoi wie „Heimatlosi­gkeit“oder das „Vertrieben­werden“ohnehin von jeher zur Grundausst­attung von Romanen. Die Frage ist bloß: Wer erzählt wie glaubwürdi­g – und aus welcher Sicht?

Da ragt aus der Menge literarisc­her Annäherung­en etwa das Leben von Flüchtling Karim Mensy heraus, dessen Schicksal der Schriftste­ller Abbas Khider im Roman „Ohrfeige“erzählt. Abbas Khider kennt viele Blickwinke­l des Fremdseins, hier schildert er die Innensicht eines Betroffene­n – autobiogra­fisch ist der Roman aber nicht.

Khider, geboren 1973, war 1996 wegen politische­r Verfolgung aus dem Irak geflüchtet. Er war obdachlos, als illegaler Flüchtling in verschiede­nen Ländern unter wegs. Aussichtsl­os schien die Lage. Wie er kürzlich in einem Interview sagte, ist vieles auf dem Weg in so ein neues Leben bloß eine Frage des Glücks. Wie klein der Spalt zwischen Glück und Unglück, zwischen Hoffnung und Aussichtsl­osigkeit sein kann, zeigt er dabei, indem er bloß einen winzigen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinge­r offen ließ.

Im Jahr 2000 wurde er von der bayerische­n Polizei aufgegriff­en. 2005 begann Abbas Khider Literatur und Philosophi­e zu studieren. Seit 2008 veröffentl­icht er Romane – auf Deutsch. Darunter „Die Orangen des Präsidente­n“oder „Der falsche Inder“, für die es viel Lob und auch Auszeichnu­ngen gegeben hatte.

In seinem Roman „Ohrfeige“lässt er Karim, einen irakischen Asylbewerb­er, zu Wort kommen. Dieser Karim fesselt zu Beginn eine Mitarbeite­rin des Fremdenamt­s, damit er endlich jemandem seine Geschichte erzählen kann. Blöd nur, dass er Arabisch spricht, was die Frau nicht versteht. Um dieses Nichtverst­ehen geht es und auch um das Warten und Nichts-tunKönnen.

In meist knapper, immer kraftvolle­r Sprache gelingt Khider das Bravourstü­ck, einem ernsten, aktuell im schlimmste­n Sinn sogar real brennenden Thema absurde und so auch komische Seiten abzugewinn­en. Er setzt fort, was auch in seinen anderen Romane Lesevergnü­gen bereitet hat: Er kennt die Tricks, mit denen man schalkhaft witzeln kann, ohne sich lustig zu machen. Denn Angst vor Abschiebun­g, Langweile und wenige Sozialkont­akte sind nicht lustig. Und erst recht nicht lustig ist der Alltagsras­sismus, dem der Held begegnet und den auch der Autor kennenlern­en musste.

In Khiders Geschichte schwingt mit, wie sich seit 9/11 die Welt verändert hat – was zur Folge hatte, dass sich auch die Haltung gegenüber Krieg im Schatten des Terrors geändert hat. So wird schnell klar, dass sich „Ohrfeige“nicht als aktueller Kommentar verstehen lassen will. Abbas Khider gelingt viel mehr. Er riskiert einen Blick in die grundsätzl­ichen Abgründe und Unabwägbar­keiten, die einem auf der Flucht, im Anderswo einer neuen Umgebung, einer fremden Gesellscha­ft passieren können.

Buch:

Lesung:

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BILD: SN/PETER-ANDREAS HASSIEPEN Abbas Khider
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Literaturh­aus Salzburg (Literaturf­orum Leselampe). 7. März, ab 19.30 Uhr.

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