Ein Flüchtling schlägt zurück
Das Thema der Stunde provoziert auch künstlerische Auseinandersetzungen – etwa den Roman „Ohrfeige“.
Flüchtlinge und vor allem ihre überall schier ausweglose Situation sind das Thema der Stunde. Das schlägt sich auch in der Kunst nieder.
In Theatern werden sogar schon journalistische Texte für die Bühne bearbeitet, um dem Thema echt nahezukommen. In der Literatur gehören Topoi wie „Heimatlosigkeit“oder das „Vertriebenwerden“ohnehin von jeher zur Grundausstattung von Romanen. Die Frage ist bloß: Wer erzählt wie glaubwürdig – und aus welcher Sicht?
Da ragt aus der Menge literarischer Annäherungen etwa das Leben von Flüchtling Karim Mensy heraus, dessen Schicksal der Schriftsteller Abbas Khider im Roman „Ohrfeige“erzählt. Abbas Khider kennt viele Blickwinkel des Fremdseins, hier schildert er die Innensicht eines Betroffenen – autobiografisch ist der Roman aber nicht.
Khider, geboren 1973, war 1996 wegen politischer Verfolgung aus dem Irak geflüchtet. Er war obdachlos, als illegaler Flüchtling in verschiedenen Ländern unter wegs. Aussichtslos schien die Lage. Wie er kürzlich in einem Interview sagte, ist vieles auf dem Weg in so ein neues Leben bloß eine Frage des Glücks. Wie klein der Spalt zwischen Glück und Unglück, zwischen Hoffnung und Aussichtslosigkeit sein kann, zeigt er dabei, indem er bloß einen winzigen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger offen ließ.
Im Jahr 2000 wurde er von der bayerischen Polizei aufgegriffen. 2005 begann Abbas Khider Literatur und Philosophie zu studieren. Seit 2008 veröffentlicht er Romane – auf Deutsch. Darunter „Die Orangen des Präsidenten“oder „Der falsche Inder“, für die es viel Lob und auch Auszeichnungen gegeben hatte.
In seinem Roman „Ohrfeige“lässt er Karim, einen irakischen Asylbewerber, zu Wort kommen. Dieser Karim fesselt zu Beginn eine Mitarbeiterin des Fremdenamts, damit er endlich jemandem seine Geschichte erzählen kann. Blöd nur, dass er Arabisch spricht, was die Frau nicht versteht. Um dieses Nichtverstehen geht es und auch um das Warten und Nichts-tunKönnen.
In meist knapper, immer kraftvoller Sprache gelingt Khider das Bravourstück, einem ernsten, aktuell im schlimmsten Sinn sogar real brennenden Thema absurde und so auch komische Seiten abzugewinnen. Er setzt fort, was auch in seinen anderen Romane Lesevergnügen bereitet hat: Er kennt die Tricks, mit denen man schalkhaft witzeln kann, ohne sich lustig zu machen. Denn Angst vor Abschiebung, Langweile und wenige Sozialkontakte sind nicht lustig. Und erst recht nicht lustig ist der Alltagsrassismus, dem der Held begegnet und den auch der Autor kennenlernen musste.
In Khiders Geschichte schwingt mit, wie sich seit 9/11 die Welt verändert hat – was zur Folge hatte, dass sich auch die Haltung gegenüber Krieg im Schatten des Terrors geändert hat. So wird schnell klar, dass sich „Ohrfeige“nicht als aktueller Kommentar verstehen lassen will. Abbas Khider gelingt viel mehr. Er riskiert einen Blick in die grundsätzlichen Abgründe und Unabwägbarkeiten, die einem auf der Flucht, im Anderswo einer neuen Umgebung, einer fremden Gesellschaft passieren können.
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