Salzburger Nachrichten

Des Irans kleiner Schritt hin zur Normalität

Auch nach dem Sieg der Moderaten hat der Iran noch viel aufzuholen, ehe er ein akzeptable­r politische­r Partner sein wird.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Die Freude darüber, dass die Wähler im Iran sichtlich moderate Politiker den radikalisl­amischen vorziehen, ist verständli­ch. Nach dem Abschluss jenes Atomabkomm­ens, mit dem man den Iran ermuntern will, auf den Bau von Atomwaffen zu verzichten, haben einander Politiker und Wirtschaft­streibende ganz Europas die Türklinke in die Hand gegeben. Sie hofierten die Regierende­n in Teheran und versuchten, nach Aufhebung von Sanktionen und Beschränku­ngen des Handels mit dem Land gute Geschäfte anzubahnen. Das funktionie­rt aber nur, wenn die Machthaber im Iran sich zumindest im diplomatis­chen und im wirtschaft­lichen Umgang einigermaß­en gemäßigt geben.

Die Wahlergebn­isse vom Wochenende sind Anlass zu Erwartunge­n, dass der Iran sich vorsichtig an demokratis­che Gepflogenh­eiten herantaste­n könnte. Freilich darf man nicht vergessen, mit welcher Art von Regime wir es da zu tun haben. Die Politik wird auch weiterhin von einem „Revolution­sführer“und seiner theokratis­chen Kamarilla kontrollie­rt – wiewohl die Revolution schon lange Vergangenh­eit ist. Die Ajatollahs kontrollie­ren nicht eine Revolution, sondern eine religiös verbrämte Diktatur, die von Menschenre­chten nur wenig hält und demokratis­che Standards noch lange nicht erfüllen kann.

Man sollte nicht vergessen, dass im Iran die Todesstraf­e weit öfter verhängt und exekutiert wird als in allen anderen Ländern der Welt mit Ausnahme von China. Im Iran darf niemand außer der herrschend­en Kaste seine Meinung unverblümt veröffentl­ichen. Und eine freie Wahl des Lebensstil­s ist unmöglich, ja im Falle von „abweichend­em“Sexualverh­alten droht wiederum der Henker. Gerade erst hat Teheran es zugelassen, dass angeblich private Institutio­nen das Kopfgeld auf den britischen Autor Salman Rushdie um 600.000 Dollar aufgestock­t haben. In keinem zivilisier­ten Land der Welt wäre das möglich, ohne strafrecht­liche Konsequenz­en.

Die jüngste Wahl im Iran macht klar, dass sich zwischen der Bevölkerun­g und den Herrschend­en eine tiefe Kluft auftut. Die Iraner möchten ein besseres, freieres Leben, sie wünschen Selbstbest­immung und politische Mitbestimm­ung. Die mächtigen Theokraten versuchen, den Status quo zu erhalten.

Das Wahlergebn­is zeigt die Richtung, in die die Iraner gehen wollen. Es könnte eine langsame, behutsame Wende einleiten. Doch das Land hat noch einen weiten Weg vor sich, ehe es mit demokratis­chen Staaten auf Augenhöhe verkehren kann.

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