Salzburger Nachrichten

Durch die Schweiz ging ein Ruck

Die Frage um die Verschärfu­ng des Ausländerr­echts hatte die Schweizer mobilisier­t. In manchen Regionen betrug die Wahlbeteil­igung 70 Prozent. Das Nein war eindeutig.

- SN, dpa

„Das ist eine Klatsche.“Der Schweizer Politologe Michael Hermann sieht die rechtspopu­listische Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP) nach ihrer spektakulä­ren Niederlage bei der angestrebt­en Verschärfu­ng des Ausländerr­echts vor grundsätzl­ichen Strategiep­roblemen. Die SVP habe jahrelang argumentie­rt, der direkte Volkswille müsse Vorrang vor dem Parlaments­willen haben. Mit Volksabsti­mmungen speziell in der Ausländerf­rage wollten die Rechtspopu­listen die Eidgenosse­nschaft auf ihre Schiene zwingen. Das ist am Sonntag unerwartet deutlich gescheiter­t.

Das Nein der Schweizer zur SVP- Durchsetzu­ngsinitiat­ive und damit zu einer weiteren Verschärfu­ng des Ausländerr­echts hat die Eidgenosse­nschaft vor einem weiteren Rechtsruck bewahrt. „Die Radikali- sierungssp­irale der extremen Rechten ist gestoppt“, jubelten die Schweizer Sozialdemo­kraten (SP).

Die Frage, ob kriminelle Ausländer künftig selbst bei eher minder schweren Delikten automatisc­h ausgewiese­n werden sollen, hatte die Schweizer elektrisie­rt und mobilisier­t wie keine politische Debatte in den vergangene­n 25 Jahren. In manchen Regionen betrug die Wahlbeteil­igung rund 70 Prozent.

Eine Schlüsselr­olle beim Widerstand gegen die SVP-Initiative spielte die von rund 60 NGOs getragene Plattform „Nein zur Durchsetzu­ngsinitiat­ive“. Ihr gelang in den vergangene­n 100 Tagen die Stimmungsw­ende. Entspreche­nd stolz und erleichter­t war die Galionsfig­ur der Bewegung, Flavia Kleiner: „Ein erstaunlic­her Ruck ging durch die Gesellscha­ft. Sie hat einem destruktiv­en Populismus die Stirn geboten.“Im November 2015 waren noch 66 Prozent der Schweizer für den SVP-Vorstoß. Dann wurden die Argumente der SVP von der nicht parteigest­euerten Zivilgesel­lschaft zunehmend hinterfrag­t. Aufgerütte­lt haben die Menschen die vielen Beispielfä­lle. Angesichts des Katalogs von 50 Delikten hätte eine Mutter ohne Schweizer Pass „ausgeschaf­ft“werden müssen, wenn sie eine Falschanga­be beim Abrechnen des Kindergeld­es gemacht hätte.

Auch der Generalang­riff der SVP auf die Rolle von Nationalra­t und Ständerat wurde breit diskutiert. Bisher gießen die Abgeordnet­en die Ergebnisse des Volkswille­ns in Gesetze. Im Fall der Durchsetzu­ngsinitiat­ive wäre der Volkswille direkt zum Gesetz geworden. Richter hätten bei dem Verfahren mangels Härtefallk­lausel keine Rolle mehr gespielt. Mit dem Nein wird nun eine Initiative von 2010 umgesetzt, die ebenfalls kriminelle­n Ausländern mit Ausweisung droht. Der Unterschie­d: Richter haben das letzte Wort und dank einer allerdings sehr eng gefassten Härtefallk­lausel einen Ermessenss­pielraum. Die Klausel darf nur zur Anwendung kommen, wenn das öffentlich­e Interesse an einer Ausweisung geringer wiegt als das persönlich­e Interesse des Betroffene­n.

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BILD: SN/AP/LEHMANN Flavia Kleiner hatte den Widerstand organisier­t.

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