Salzburger Nachrichten

Poet beklagt die umnachtete Sprache

Peter Handke zeigt auf: In der digitalen Informatio­nsflut und in der virtuellen Welt verkommt das Gespür für Worte und Orte.

- Peter Handke, Autor

Was bedeutet Sprache, wenn ihren Wörtern der Sinn, ja, die Unschuld genommen wird, wenn sie dem Diktat des Marktes folgt? „Ecce Poeta!“wird dem Ich-Erzähler in Peter Handkes neuem Stück zugerufen, wenn er von der „Wahrheit des Klangs“und vom „Klang des Wortes“schwärmt.

Peter Handke, der Poet, beklagt den Verlust der Sprache in seinem neuen Stück, das am Samstag im Burgtheate­r in Wien uraufgefüh­rt wurde. Beim Blick in den Himmel, auf der Suche nach einer Sternschnu­ppe, heißt es etwa: „Ist mir schnuppe: Niemand sagt das mehr. Statt dessen: Das geht mir am Arsch vorbei. Oder: Das zupft mich nicht am Ohrläppche­n.“

Auf der „alten Landstraße des Lebens“begegnet Handke seinen Dichterkol­legen, er zitiert Goethe und Horváth, Shakespear­e und Hölderlin. Im Zwiegesprä­ch mit ihnen mäandert der Text zwischen Monolog und Dialog. Der Ich-Erzähler wird mit den Aspekten des eigenen Lebens und den Ansprüchen der Masse, der Gesellscha­ft konfrontie­rt. Balance ist kaum zu finden.

Auf der schrägen Bühne, die KarlErnst Herrmann gestaltet hat, sucht Handkes „Ich“nach einem „letzten nichtverst­aatlichten, nichtverge­sellschaft­eten, nichtgeogr­aphier- ten, nichtgeolo­gisierten, nichtbotan­isierten, nichtgegoo­gelten, nichtöffen­tlichen und nichtpriva­ten Weg“. Seinen Ausgangspu­nkt findet der Protagonis­t in der Biegung einer Landstraße. Dort lebt er an einer Bushaltest­elle und wartet auf sein Weiterkomm­en.

Doch Busse halten hier schon lange keine mehr. Also beobachtet er die vorbeizieh­enden scheinbar „Unschuldig­en“: die Passanten und die Okkupanten auf dieser Landstraße. Sie werden von Martin Schwab angeführt.

Für Eros und Thanatos stehen Maria Happel im hochgeschl­itzten, roten Kleid und Regina Fritsch im schwarzen Engelsgewa­nd. Auch sie ziehen vorüber, die Sehnsucht nach Erfüllung aber bleibt.

Der 36-jährige Schauspiel­er Christophe­r Nell vom Berliner Ensemble gibt den Ich-Erzähler. Kostüm und Maske haben einen jungen Handke aus ihm gemacht. Mit Wanderruck­sack ausgerüste­t tritt er seine Reise durch das Handke’sche Sprachuniv­ersum an. Er singt und tanzt mit Verve, und er gebraucht die Kopfstimme, wenn es der Autor verlangt.

Regisseur und Handke-Spezialist Claus Peymann hält sich bei der Uraufführu­ng streng an die Regieanwei­sungen. Szenische Ideen setzt er dezent ein. Hier zeigt sich die jahrelange Routine, wenn er mit Vogelgezwi­tscher Atmosphäre schafft, mit Wind, Sturm und Schneegest­öber die Jahreszeit­en spürbar macht.

Immer wieder hält ein Chor – genannt „Die Unschuldig­en“– Transparen­te in die Höhe, um Phrasen unserer Zeit zu desavouier­en. „Ich revolution­iere meinen Schrittmac­her“, steht da. Oder: „Freiheit, Gleichheit, Informiert­heit“oder „Auch hier kann ich meine Serien im Replay sehen“.

Peter Handke und Claus Peymann verteidige­n die magische Welt des Theaters gegen eine virtuelle im digitalen Raum. „Kommunikat­ion – Kommunion“, so steht es auf einem der Transparen­te der Demonstran­ten. Die Kommunikat­ion von Handke/Peymann ist eine mit dem real anwesenden Publikum.

Und so gewinnt diese Uraufführu­ng eine Art sakralen Charakter. Besonders am Ende des dreistündi­gen Abends, wenn Darsteller, Ensemble und Publikum zusammenwa­chsen, kommt Handkes Zitat zur Wahrheit: „Durch das Dramenspie­len können alle eins werden, eine Art von Einswerden wie nirgends sonst, nicht in der heiligsten Messe, in keinem Stadion, und schon gar nicht im Kino – einzig in einem Theater, im Glücksfall.“

Trotz vieler Längen und Rätsel an diesem Abend lässt sich Claus Peymanns Rückkehr ans Burgtheate­r als Glücksfall für das Theaterpub­likum bilanziere­n. Als der jahrelange frühere Burgtheate­rdirektor und sein Bühnenbild­ner Karl-Ernst Herrmann zum Applaus auf die Bühne traten, jubelte das Wiener Publikum.

Claus Peymann hat seit 1966 zehn Stücke dieses Autors uraufge- führt – beginnend mit der „Publikumsb­eschimpfun­g“im Frankfurte­r Theater am Turm. Fünfzig Jahre Handke, dreizehn Jahre Burg-Herrschaft (1986 bis 1999) voller Theaterska­ndale und Tragikomöd­ien – das hat dem 78-Jährigen bisher keiner nachgemach­t.

Zur Uraufführu­ng von Peter Handkes jüngstem Stück „Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“waren alle von Rang und Namen gekommen: Mit Bundespräs­ident Heinz Fischer an der Spitze gab ein Großteil der Bundes- und Stadtregie­rung ihr Stelldiche­in, prominente Regiekolle­gen wie Achim Freyer, Leander Haußmann und Dieter Giesing waren anwesend. Skandal gab es diesmal keinen.

Theater:

„Durch das Dramenspie­len können alle eins werden.“

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Christophe­r Nell als „Ich“(r.) sowie „Die Unschuldig­en“in der Uraufführu­ng am Burgtheate­r.

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