Salzburger Nachrichten

In St. Pölten entbehrt die Liebe das Tändeln

Der ungarische Regisseur Róbert Alföldi gestaltet einen mutig konzisen „Tartuffe“.

- Tartuffe, von Molière, Regie: Róbert Alföldi, nö. Landesthea­ter St. Pölten, am 5. und am 6. April Gastspiel in der Bühne Baden.

ST. PÖLTEN. Dass Róbert Alföldi in St. Pölten „Tartuffe“inszeniert, ist zweifach beachtensw­ert: Erstens gilt er – neben Viktor Bodó, Árpád Schilling oder Kornél Mundruczó – als talentiert­er ungarische­r Regisseur; er hat von 2008 bis 2013 das Nationalth­eater in Budapest geleitet und wird demnächst an der Bayerische­n Staatsoper „Albert Herring“von Benjamin Britten inszeniere­n (Premiere am 6. April).

Zweitens hat ihn mit Bettina Hering jene Intendanti­n mit einem Klassiker Molières betraut, die 2017 Schauspiel­chefin der Salzburger Festspiele wird.

In der Komödie über einen dummen Reichen namens Orgon, der dem bigotten Heuchler Tartuffe verfällt und diesem seine Tochter zur Heirat und sein Vermögen zum Eigentum überlässt, gibt es viel zu lachen, da Róbert Alföldi die Figuren sowie deren Handlungen und Emotionen stark und grell überzeichn­et. Sei es ein sexuelles Begeh- ren von Orgons Mutter (Julia von Sell) für Tartuffe (Albrecht Abraham Schuch), sei es die Verliebthe­it zwischen dem Töchterche­n Mariane (Lisa Weidenmüll­er) und ihrem Verlobten Valérie (Pascal Gross) oder die empörten, weil klug durch- schauenden Kommentare der Zofe Dorine (Swintha Gersthofer): Hier wird nichts angedeutet, sondern plakativ vorgespiel­t. Was verkappt erotisches Tändeln sein könnte, wird evidente Gier. All diese Übertreibu­ngen können leicht ins Lachhafte kippen, was dem Publikum immer wieder Lachsalven entlockt.

So deftig diese Inszenieru­ng ist, so ist sie zugleich auch höchst subtil: Denn es wird detailreic­h und präzise gespielt. Jede Regung und jede Geste wird prägnant überhöht. Jede Empörung und jede Eifersucht wird emphatisch ausgesproc­hen.

Gespielt wird in einer streng weißen Bühne, die Ildikó Tihanyi gestaltet hat: Vor einem weißen Halbrund ist ein weißes Gestänge in Form eines Kubus, mit vier verschiebb­aren, halb transparen­t bespannten Wänden parallel zur Bühnenkant­e. Gespielt wird auch streng nach Molière und nach der gereimten Übersetzun­g des Dramaturge­n Wolfgang Wiens.

Dieser Strenge und dieser Sprache sind die Schauspiel­er fast requi- sitenlos und in heutigen Kostümen überlassen. Diesen gnadenlose­n Spielraum vermag jeder zu beachtlich­en bis fabelhafte­n Interpreta­tionen zu nützen. Dies ergibt ein höchst erfreulich­es Sprachscha­uspiel.

Nur am Ende unterbrich­t der Regisseur sein stringente­s Konzept: Orgons Mutter wird bloßgestel­lt, da der von ihr verehrte Heuchler enttarnt ist. Warum inszeniert da Róbert Alföldi plötzlich symbolisch, indem Madame Pernelle sich bis auf die Seidenunte­rwäsche entblößt?

Und anders als in Molières Original, in dem Tartuffe verhaftet wird, ist es hier der Gauner selbst, der die erlösenden juristisch­en Schreiben übergibt und dabei heftig lacht. So nimmt eine mutig konzise Inszenieru­ng ein sonderbare­s Ende.

Theater:

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Der Heuchler begehrt die Ehefrau: Albrecht Abraham Schuch und Elisa Seydel als Tartuffe und Elmire.

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