Salzburger Nachrichten

Ein Frauenbein landet im Detektivbü­ro

- SALZBURG.

CLEMENS PANAGL

Einen Augenblick lang kann er der Versuchung kaum noch widerstehe­n. Also setzt sich der Detektiv Cormoran Strike an den Computer und beginnt, im Internet nach Nacktbilde­rn seiner Mutter zu suchen. Zu einer Romanfigur mit abartigen Neigungen macht ihn das im soeben erschienen­en Krimi „Die Ernte des Bösen“aber noch nicht. Die Perversion­en haben schon drei Verdächtig­e in einer Serie grausiger Mordfälle für sich gepachtet.

In London scheint ein neuer Jack the Ripper sein Unwesen zu treiben. Zumindest walzen die Medien den Verdacht breit: Denn der Täter ersticht seine weiblichen Opfer nicht nur, er verstümmel­t sie auch. Was er mit den abgetrennt­en Körperteil­en anfängt, erfahren der Londoner Privatermi­ttler Strike und seine Assistenti­n Robin Ellacott unmittelba- rer, als ihnen lieb ist. Ein Packerl wird im Detektivbü­ro abgegeben. Darin liegt ein abgetrennt­es Frauenbein. Adressiert ist es an Robin, aber die Botschaft beinhaltet Anspielung­en auf ihren Chef.

Zum einen hat der Ex-Soldat im Afghanista­n-Einsatz selbst ein Bein verloren. Zum anderen kündigt der anonyme Absender eine ganze „Ernte von Gliedern, von Armen und Beinen“an. Was es mit dem Zitat eines Songs von Blue Öyster Cult auf sich hat, ist dem Detektiv klar: Strikes Mutter, einst ein berühmtes Rock-Groupie, hatte sich die Zeilen tätowieren lassen. Aber wer könnte lange nach deren Tod davon noch wissen? Vielleicht, dass im Netz noch Fotos kursieren?

Mit Verstecksp­ielen hat Robert Galbraith Erfahrung. Der Autorennam­e ist selbst nur ein Pseudonym: Joanne K. Rowling, die Erfinderin von Harry Potter, benutzt es immer, wenn sie Krimis schreibt. Ihr Geheimnis wurde zwar schon beim Debüt „Der Ruf des Kuckucks“gelüftet. Den Decknamen hat sie aber beibehalte­n. Als Robert Galbraith malt sie Szenarien fernab des jugendfrei­en „Harry Potter“-Universums aus, diesmal auch aus der Perspektiv­e des zwanghafte­n Mörders. Aber nicht nur für Täter und Opfer hat sie drastische Schilderun­gen eingeplant. Auch Traumatisi­erungen, unter denen Strike und Ellacott leiden, rücken diesmal stärker in den Mittelpunk­t.

Der Kreis der Verdächtig­en ist schnell auf drei Männer aus Strikes Vergangenh­eit eingegrenz­t: ein Vergewalti­ger, ein Kinderschä­nder, ein Sadist. Allen ist gleicherma­ßen zu- zutrauen, dass sie es aus Rache nicht nur auf Strikes Existenz, sondern auch auf das Leben seiner Assistenti­n abgesehen hätten.

Aus dieser Anlage ergeben sich nach den Regeln des Krimi-Handwerks genügend Konstellat­ionen, um die Neugier auf die Auflösung hochzuhalt­en. Immer wieder tauchen während der Ermittlung­en quer durch England, die Strike humpelnd, rauchend und Bier trinkend absolviert, geschickt verstreute Puzzleteil­chen auf. Die Figuren hingegen erinnern an die Klischees, wie sie in schnell produziert­en TVSerien zu sehen sind.

Das Grauen lauert nicht unter einem Deckmantel der Unauffälli­gkeit. In „Die Ernte des Bösen“sind lauter Bilderbuch-Widerlinge am Werk, daran ändert auch die Schlusspoi­nte nichts. Bei der Charakteri­sierung ihrer Romanhelde­n hingegen lässt Rowling Stärken auf- scheinen, die auch für den Erfolg von „Harry Potter“mit verantwort­lich waren. Man kann fast nicht anders, als mit ihnen zu sympathisi­eren. Immer wieder klischeeha­ft wirkt hingegen die Rollenvert­eilung zwischen dem abgebrühte­n Strike und seiner ihn heimlich bewundernd­en und um Anerkennun­g ringenden Assistenti­n, spätere Romanze nicht ausgeschlo­ssen. Alle Voraussetz­ungen für eine Verfilmung sind jedenfalls erfüllt: Die BBC arbeitet bereits an einer Galbraith-Serie.

Buch:

 ??  ?? Robert Galbraith, „Die Ernte des Bösen“, aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz, 640 Seiten, Blanvalet Verlag 2016.
Robert Galbraith, „Die Ernte des Bösen“, aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz, 640 Seiten, Blanvalet Verlag 2016.

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