Diesen Kuss der normierten Welt
Ein starker Abend im Salzburger Landestheater: Die Oper „Brokeback Mountain“gewinnt in neuer Fassung an Schärfe und Dringlichkeit.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen: Der berühmte Satz Adornos umreißt exakt die Situation dieser beiden Männer. In jungen Jahren lernen sich Jack Twist und Ennis Del Mar als Schafhirten auf dem Brokeback Mountain in Wyoming kennen – und lieben. Ihre Neigung müssen sie verstecken, unterdrücken – jahrzehntelang. Sie werden aufgerieben zwischen „falsch“gepolter Liebeslust und normbürgerlichem Lebenszwang.
Die amerikanische Schriftstellerin Annie Proulx, eine Meisterin der Kurzgeschichte, hat diese Leben mit präzisen Strichen skizziert und auf wenigen Seiten verdichtet: karg wie die Landschaft, mit lakonischer Genauigkeit. Gerard Mortier, der einstige Intendant der Salzburger Festspiele und unermüdliche Anreger, hatte die Autorin mit dem amerikanischen Komponisten Charles Wuorinen zusammengebracht. Sie sollten aus dem Stoff eine Oper formen. Populär wurde er ja durch Ang Lees oscarprämierten Film.
Wer freilich nun auch in der Oper großes Gefühlskino erwartet, ist auf dem falschen Weg. Mortier realisierte das Projekt nicht in den USA, sondern als Intendant in Madrid. Es sollte, vor zwei Jahren, seine letzte Produktion werden. Auf leerer Bühne, vor der AnsichtskartenProjektion eines majestätischen Bergpanoramas, blieb die Erstbegegnung nicht unumstritten.
Am Samstag hatte „Brokeback Mountain“im Salzburger Landestheater die österreichische Erstaufführung. Ihr Atout ist die musikalische Neubearbeitung durch den 78jährigen Komponisten, der nach der Premiere gemeinsam mit allen Beteiligten mit Standing Ovations ge- feiert wurde. So klar und gekonnt die musikalische Ur-Umsetzung auch gearbeitet war, entging sie in Standard-Orchesterbesetzung nicht der Gefahr eines gewissen Weichzeichnereffekts. Nun hat Wuorinen eine „Kammerfassung“für 24 Instrumentalisten geschrieben, straffte vor allem den Streicherklang auf Stimmführer-Präsenz, härtete dadurch Bläser-, Schlagzeug- und Klavierkonturen, fügte dezent vier Saxofonstimmen zur Klangrundung ein. Und es passiert Erstaunliches: Der Stoff gewinnt an Dringlichkeit über seine homoerotische Komponente hinaus, illustriert keine Oberfläche, sondern geht wirksam tiefer. Das macht vor allem den längeren zweiten Akt musikdramatisch auch deutlich griffiger.
Wuorinens hauptsächlich rezitativisch aufgeraute, spröde Klangsprache hat – wozu der Filmstoff ja mehr als die Kurzgeschichte verleiten könnte – nichts mit gefälligen „Amerikanismen“zwischen gehobenem Musical-Anspruch und illustrativer Neoverismus-Duselei im Sinn. Sie wirkt in der neuen Version sogar deutlich direkter, auch unbequemer und konfliktreicher, aber dies wiederum nicht im herkömmlich erwartbaren operndramatischen Kontrastschema, sondern auf eigene Art: trocken, scharf, insistierend. Darauf muss man sich freilich auch einlassen wollen.
Die Salzburger Produktion hilft dazu auf imponierende Art. Was der Dirigent Adrian Kelly und die zwei Dutzend brillanten Solisten des Mozarteumorchesters an Präzisionsarbeit, aber auch Klangverdeutlichung leisten, ist beeindruckend. Jede Stimme scheint wie angegossen zu sitzen, passgenau und straff, ohne zu spannen, das heißt auch mit dem nötigen Freiraum, die körnige Musik atmen zu lassen.
Jacopo Spireis Inszenierung ist schlicht, klar, deutlich: so konkret wie nötig, so abstrakt wie möglich. Eva Musils Szenerie setzt den Berg als Metapher und Artefakt ein. Das Massiv ist Bühne, die nötigen „privaten“Schauplätze werden ihm wie Skizzen zeichenhaft eingeschnitten, auf der Drehbühne im zweiten Akt sind sie angedeutete Versatzstücke der Wirklichkeit – und der Berg nur noch ein Häufchen Zitat.
Das ermöglicht Spielraum für präzise Figurenzeichnung, die keinen falsch verstandenen Voyeurismus erlaubt noch möglich macht. Die Fantasie des Zuschauers darf selbst spielen. Über die Rollengewichtung mag man streiten. Jedenfalls sind Mark Omvlee als Jack und Florian Plock als Ennis erstklassige, famose Singdarsteller, Hailey Clark und Rowan Hellier als deren Frauen mehr als nur Stichwortbringerinnen. Auch hier: Jede Stimme, bis in die kleinsten Partien, passt wie angegossen. Ein starker Abend.
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