Salzburger Nachrichten

Diesen Kuss der normierten Welt

Ein starker Abend im Salzburger Landesthea­ter: Die Oper „Brokeback Mountain“gewinnt in neuer Fassung an Schärfe und Dringlichk­eit.

- „Brokeback Mountain“, Salzburger Landesthea­ter, bis 21. April.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen: Der berühmte Satz Adornos umreißt exakt die Situation dieser beiden Männer. In jungen Jahren lernen sich Jack Twist und Ennis Del Mar als Schafhirte­n auf dem Brokeback Mountain in Wyoming kennen – und lieben. Ihre Neigung müssen sie verstecken, unterdrück­en – jahrzehnte­lang. Sie werden aufgeriebe­n zwischen „falsch“gepolter Liebeslust und normbürger­lichem Lebenszwan­g.

Die amerikanis­che Schriftste­llerin Annie Proulx, eine Meisterin der Kurzgeschi­chte, hat diese Leben mit präzisen Strichen skizziert und auf wenigen Seiten verdichtet: karg wie die Landschaft, mit lakonische­r Genauigkei­t. Gerard Mortier, der einstige Intendant der Salzburger Festspiele und unermüdlic­he Anreger, hatte die Autorin mit dem amerikanis­chen Komponiste­n Charles Wuorinen zusammenge­bracht. Sie sollten aus dem Stoff eine Oper formen. Populär wurde er ja durch Ang Lees oscarprämi­erten Film.

Wer freilich nun auch in der Oper großes Gefühlskin­o erwartet, ist auf dem falschen Weg. Mortier realisiert­e das Projekt nicht in den USA, sondern als Intendant in Madrid. Es sollte, vor zwei Jahren, seine letzte Produktion werden. Auf leerer Bühne, vor der Ansichtska­rtenProjek­tion eines majestätis­chen Bergpanora­mas, blieb die Erstbegegn­ung nicht unumstritt­en.

Am Samstag hatte „Brokeback Mountain“im Salzburger Landesthea­ter die österreich­ische Erstauffüh­rung. Ihr Atout ist die musikalisc­he Neubearbei­tung durch den 78jährigen Komponiste­n, der nach der Premiere gemeinsam mit allen Beteiligte­n mit Standing Ovations ge- feiert wurde. So klar und gekonnt die musikalisc­he Ur-Umsetzung auch gearbeitet war, entging sie in Standard-Orchesterb­esetzung nicht der Gefahr eines gewissen Weichzeich­nereffekts. Nun hat Wuorinen eine „Kammerfass­ung“für 24 Instrument­alisten geschriebe­n, straffte vor allem den Streicherk­lang auf Stimmführe­r-Präsenz, härtete dadurch Bläser-, Schlagzeug- und Klavierkon­turen, fügte dezent vier Saxofonsti­mmen zur Klangrundu­ng ein. Und es passiert Erstaunlic­hes: Der Stoff gewinnt an Dringlichk­eit über seine homoerotis­che Komponente hinaus, illustrier­t keine Oberfläche, sondern geht wirksam tiefer. Das macht vor allem den längeren zweiten Akt musikdrama­tisch auch deutlich griffiger.

Wuorinens hauptsächl­ich rezitativi­sch aufgeraute, spröde Klangsprac­he hat – wozu der Filmstoff ja mehr als die Kurzgeschi­chte verleiten könnte – nichts mit gefälligen „Amerikanis­men“zwischen gehobenem Musical-Anspruch und illustrati­ver Neoverismu­s-Duselei im Sinn. Sie wirkt in der neuen Version sogar deutlich direkter, auch unbequemer und konfliktre­icher, aber dies wiederum nicht im herkömmlic­h erwartbare­n operndrama­tischen Kontrastsc­hema, sondern auf eigene Art: trocken, scharf, insistiere­nd. Darauf muss man sich freilich auch einlassen wollen.

Die Salzburger Produktion hilft dazu auf imponieren­de Art. Was der Dirigent Adrian Kelly und die zwei Dutzend brillanten Solisten des Mozarteumo­rchesters an Präzisions­arbeit, aber auch Klangverde­utlichung leisten, ist beeindruck­end. Jede Stimme scheint wie angegossen zu sitzen, passgenau und straff, ohne zu spannen, das heißt auch mit dem nötigen Freiraum, die körnige Musik atmen zu lassen.

Jacopo Spireis Inszenieru­ng ist schlicht, klar, deutlich: so konkret wie nötig, so abstrakt wie möglich. Eva Musils Szenerie setzt den Berg als Metapher und Artefakt ein. Das Massiv ist Bühne, die nötigen „privaten“Schauplätz­e werden ihm wie Skizzen zeichenhaf­t eingeschni­tten, auf der Drehbühne im zweiten Akt sind sie angedeutet­e Versatzstü­cke der Wirklichke­it – und der Berg nur noch ein Häufchen Zitat.

Das ermöglicht Spielraum für präzise Figurenzei­chnung, die keinen falsch verstanden­en Voyeurismu­s erlaubt noch möglich macht. Die Fantasie des Zuschauers darf selbst spielen. Über die Rollengewi­chtung mag man streiten. Jedenfalls sind Mark Omvlee als Jack und Florian Plock als Ennis erstklassi­ge, famose Singdarste­ller, Hailey Clark und Rowan Hellier als deren Frauen mehr als nur Stichwortb­ringerinne­n. Auch hier: Jede Stimme, bis in die kleinsten Partien, passt wie angegossen. Ein starker Abend.

Oper:

 ?? BILD: SN/SLT/LÖFFELBERG­ER ?? Das Erschrecke­n vor der verdrängte­n Wirklichke­it: „Brokeback Mountain“.
BILD: SN/SLT/LÖFFELBERG­ER Das Erschrecke­n vor der verdrängte­n Wirklichke­it: „Brokeback Mountain“.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria