Auf den Spuren des Krieges
Wenn Wolfgang Korner zum Einsatz muss, herrscht höchste Explosionsgefahr. Österreichs oberster Entminungsexperte erklärt, warum er ein Kriegsgegner ist.
Ohrstecker, lange Haare, modische Strickweste. Wolfgang Korner sieht nicht aus wie ein Soldat. Und trotzdem arbeitet er in einer Kaserne und hat täglich mit Bomben, Granaten und anderem Kriegsmaterial zu tun. Korner ist Chef des Entminungsdienstes des österreichischen Verteidigungsministeriums.
In seinem Büro liegen alte Waffen und Dutzende Bestandteile von Bomben. Zünder, entschärfte Granaten, leere Patronen. Der 54-Jährige arbeitet in der Wiener Biedermann-Huth-Raschke-Kaserne. Korner ist genau genommen Verwaltungsbeamter. Nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 wanderte der Entminungsdienst vom Innen- zum Verteidigungsministerium. Korner ging mit. Er und 14 weitere Kollegen sind dafür zuständig, Kriegsmaterial aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Im vergangenen Jahr waren es rund 1201 Stück. Darunter fallen Fliegerbomben, Granaten und Gewehrmunition.
Sein Job sei schnell erklärt: „Wir identifizieren Kriegsmaterial, entschärfen und vernichten es.“Was so einfach klingt, würde wohl den meisten den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Doch Korner findet seinen Beruf nicht gefährlicher als andere. „Ein Lkw-Fahrer hat mindestens ein genauso hohes Berufsrisiko.“Überhaupt hört man bei dem 54-Jährigen weder Geschichten über tickende Bomben noch über heldenhafte Entscheidungen zwischen dem roten und blauen Draht. Die Menschen hätten oft eine falsche Vorstellung von seinem Beruf. Bei den Bombenentschärfungen ist Korners wichtigstes Werkzeug eine Rohrzange. „Ich bin noch einer der alten Schule.“Seinen explosiven Aufgaben nähert er sich nicht mit Schutzweste und Vollvisierhelm wie im Film. „Wenn die Bombe wirklich explodiert, hilft der Helm auch nichts mehr.“
Schützen würden nur eine gute Übung und ein genaues Kennen der Bombenzünder. Einen der Zünder hält Korner in der Hand. Er ist der tödlichste Gegner der Entminungsexperten. „Der Langzeitzünder kann die Bombe auch noch nach Jahren zur Detonation bringen.“Wird die Bombe bewegt oder wird versucht, den Zünder zu entfernen, zerbricht im Inneren eine kleine Glaskugel mit Säure. Die Säure zersetzt schließlich langsam die Kunststoffringe, die den Schlagbolzen halten. Sind die Halteringe durchgeätzt, schnellt der Schlagbolzen vor und zündet die Bombe. „Das Tückische ist, dass wir nicht sagen können, wie lange der Prozess im Inneren des Zünders dauert.“Es kann zwischen einer und 144 Stunden dauern, bis die Säure die Ringe durchätzt.
Wie gefährlich ein Langzeitzünder ist, zeigte sich 2003 bei der Entschärfung einer 250 Kilogramm schweren Fliegerbombe am Salzburger Hauptbahnhof: Als Entminungsexperten die Bombe bergen wollten, explodierte sie und tötete zwei von Korners Kollegen. „Seitdem sind wir nur noch so kurz wie möglich bei solchen Bomben.“Wenn es nicht anders geht, wird sie vor Ort ge- sprengt. Die Namen der toten Kollegen stehen auf einer Gedenktafel vor Korners Büro. Die Tafel ist voll. „Vor allem nach dem Krieg starben viele Kollegen bei der Beseitigung von Minen.“Viele Menschen würden heute noch immer zu sorglos mit gefundenem Kriegsmaterial umgehen. „Hände weg, sonst sind die Hände weg“, sagt Korner dann.
Weil er täglich sieht, welche Spuren der Krieg hinterlässt, ist er Kriegsgegner. Es dauert lange, bis die tödlichen Hinterlassenschaften des Krieges verschwinden. „Noch heute findet man die Türkenkugel“, erklärt er. Das sei eine Kanonenkugel aus der Türkenbelagerung.
Dabei wollte Korner einmal mit dem Kämpfen sein Geld verdienen. Als junger Mann ging er zum Jagdkommando, der Elitetruppe des österreichischen Bundesheeres. Als Kampfschwimmer war er an einer Panzerbergung im Wolfgangsee beteiligt. Daraufhin ging Korner zum Entminungsdienst. Ihn interessiere vor allem das Technische an seinem Beruf. „Ich bin kein Waffennarr.“Rambos brauche Korner nicht in seiner Truppe, im Gegenteil. „Ich schrecke mich immer, wenn es knallt“, sagt er. Etwa zu Silvester. „Die Leute verstehen das nicht, weil ich doch beruflich mit Bomben zu tun habe.“Ihnen antwortet Korner: „Mein Beruf ist es, zu verhindern, dass es kracht.“
Das wissen auch seine Frau und seine sechsjährige Tochter. Deshalb rufe er sie nicht immer an, wenn er zum Einsatz müsse. „Wenn es ein großer Einsatz ist, hört sie es sowieso im Radio, und sie weiß, dass ich aufpasse.“
Wenn Korner aufpassen muss, ist er meistens allein. Die Gebäude sind evakuiert, die Menschen in Sicherheit und es ist mucksmäuschenstill. Das findet Korner nach all den Jahren noch immer faszinierend an seinem Beruf: „Du stehst mitten in der Stadt und es herrscht Stille, es gibt nur dich und die Bombe.“Was geht einem da durch den Kopf? „Wie der Zünder aufgebaut ist.“Das sei seine Lebensversicherung.