Die Psyche der Dschihadisten
Mit Spannung wird im Prozess gegen Mirsad O. das Urteil erwartet. Er soll Jugendliche für den bewaffneten Dschihad rekrutiert haben. Eine Gerichtspsychiaterin erklärt, wie dies möglich ist.
Immer öfter untersucht Gabriele Wörgötter junge Menschen, die in den Dschihad gezogen sind. Sie erklärt, wie Rekrutierer ticken, was sie den Jugendlichen geben und was das mit den nun ankommenden Flüchtlingen zu tun hat. SN: Wie kann man einen Jugendlichen überzeugen, dass er in Syrien kämpft? Wörgötter: Die Rekrutierer schauen zunächst, wer sich als Opfer anbietet. Das sind Jugendliche, die kein Selbstbewusstsein haben und auf der Suche nach Anerkennung sind. SN: Wieso haben Jugendliche diese Defizite? Oft haben sie in den Familien nicht genügend Halt. Sie haben nicht gelernt, dass man Konflikte auch gewaltfrei lösen kann. Das sind Jugendliche, die das Gefühl haben, dass das Leben bisher unfair zu ihnen war. Die sind dann verführbar für radikale Ideen. SN: Womit ködern die Dschihadisten die Jugendlichen? Ihnen wird vermittelt, dass sie bei den Radikalen Geborgenheit und eine Aufgabe bekommen. Das sind Sprüche wie „Hier bekommt das Leben einen Sinn“oder „Hier kannst du helfen“. Der Kampf in Syrien wird auch als Kampf für die Gerechtigkeit verkauft. SN: Unterscheiden sich dabei Mädchen und Burschen? Bei den Burschen kommt das Abenteuergefühl durch das Kämpfen und Schießen dazu. Man drückt ihnen eine Waffe in die Hand und auf einmal fühlen sie sich stark. SN: Und bei Mädchen? Sie wollen oft jemanden heiraten, der in ihren Augen ein Held ist. SN: Die Dschihadisten rekrutieren also nach demselben Muster wie eine Sekte? Ja, das ist ähnlich. Auch junge Neonazis haben ähnliche Persönlichkeitsmuster. Es ist fast ein Zufall, ob Jugendliche bei den Islamisten oder bei den Rechtsradikalen landen. Die Ideologie spielt keine Rolle. Von den Jugendlichen, die ich untersucht habe, kennt sich niemand mit dem Koran oder mit Politik aus. SN: Wie müssen die Rekrutierer gestrickt sein, dass Jugendliche auf sie hereinfallen? Sie haben ein gewisses Charisma, müssen überzeugend sein und ein Gespür dafür haben, wer für die Ideologie anfällig ist. Sie ersetzen vor allem bei den Burschen die Vaterfigur. SN: Kann man diese Gehirnwäsche auch umdrehen? Ganz schwer. Das passiert weder auf Knopfdruck noch mit dem erhobenen Zeigefinger. Es muss erst einmal herausgefunden werden, welche Bedürfnisse die Jugendlichen haben. Hier stellt sich auch die Frage, wie sinnvoll eine Gefängnisstrafe in solchen Fällen ist. Hinter Gittern wächst der Zorn auf die Gesellschaft erst recht. Die Jugendlichen müssten intensiv betreut werden. Aber niemand will das zahlen. SN: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum viele Jugendliche, deren Familien aus Bosnien und Tschetschenien vor dem Krieg geflohen sind, jetzt in Syrien kämpfen? Viele haben den Krieg als ungerechte Niederlage erlebt, weil sie vertrieben wurden. Sie haben auch erlebt, dass Krieg zum Alltag gehört. Das senkt die Hemmschwelle. SN: Wie kann man so etwas bei den nun ankommenden Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak verhindern? Sofort mit der Traumabehandlung beginnen. Es werden sonst gewaltige Probleme auf uns zukommen, die im Moment keiner sehen will. Man müsste jetzt viel Zeit, Geld und Energie reinstecken, um zu verhindern, dass später solche Probleme auftauchen. Das heißt auch, dass man die Flüchtlinge in die Gesellschaft integriert, sprich, ihnen eine Aufgabe gibt und sie auch in die Pflicht nimmt. Nur so können sie Selbstverantwortung und Selbstvertrauen wiederfinden. Gabriele Wörgötter