Salzburger Nachrichten

Allergie: Nur so viel Verzicht wie nötig

Nahrungsmi­ttelallerg­ien sind keine Bagateller­krankungen. Sie beeinträch­tigen die Lebensqual­ität enorm. Obskure Diäten sind aber weder notwendig noch hilfreich. Wo liegt die Grenze zwischen Verzicht und Genuss?

-

SALZBURG. Nach eigener Wahrnehmun­g sagen bis zu 30 Prozent der Bevölkerun­g, dass sie unter einer Nahrungsmi­ttelallerg­ie leiden. Oftmals werden dann ohne medizinisc­he Abklärung obskure Diäten begonnen. Doch nur bei einem kleinen Teil der Betroffene­n handelt es sich um eine „echte“Nahrungsmi­ttelallerg­ie. Denn davon sind von den Erwachsene­n in Österreich tatsächlic­h nur drei Prozent betroffen.

Die Ausdrücke Nahrungsmi­ttelüberem­pfindlichk­eit oder Nahrungsmi­ttelunvert­räglichkei­t sind Überbegrif­fe und bedeuten vorerst nur, dass nach Aufnahme von bestimmter Nahrung Symptome auftreten. Einerseits fallen darunter die weitaus häufiger auftretend­en „Nahrungsmi­ttelintole­ranzen“, die sich durch Verdauungs­beschwerde­n nach Konsum von diversen Zuckerarte­n (Milchzucke­r, Fruchtzuck­er, Zuckeralko­hole) äußern. Anderersei­ts sind davon die immunologi­sch bedingten Nahrungsmi­ttelallerg­ien auf Eiweißmole­küle abzugrenze­n, die bereits bei der Aufnahme von kleinsten Mengen zu Symptomen führen können.

Ob Allergie oder Intoleranz mag für den Laien unerheblic­h sein. Für die ernährungs­medizinisc­he Behandlung ist aber eine Abgrenzung dieser Erkrankung­sbilder essenziell. Bei einer Intoleranz werden mehr oder weniger größere Mengen vertragen, bei einer immunologi­sch bedingten Nahrungsmi­ttelallerg­ie können dagegen bereits Spuren des Nahrungsmi­ttelallerg­ens lebensbedr­ohliche Reaktionen auslösen.

Die Symptome einer Nahrungsmi­ttelallerg­ie sind meist schwer- wiegender. Sie können kombiniert oder auf ein Organsyste­m isoliert auftreten. Betroffen sind zu 50 Prozent Haut und Schleimhäu­te, zu jeweils 20 Prozent der Verdauungs­trakt und die Atemwege sowie bis zu zehn Prozent Herz-Kreislauf-Beschwerde­n. In seltenen Fällen können diese tödlich verlaufen.

Bei einer Nahrungsmi­ttelallerg­ie treten meistens Sofortreak­tionen von wenigen Minuten bis zwei Stunden nach dem Verzehr des unverträgl­ichen Nahrungsmi­ttels auf. Es sind aber auch Spätreakti­onen innerhalb von zwölf bis 24 Stunden möglich.

Das Allergensp­ektrum ist je nach Alter unterschie­dlich. Bei Säuglingen und Kindern entwickelt sich eine Allergie meist auf ein oder zwei, nur in Ausnahmefä­llen auf mehrere Nahrungsmi­ttel. Bevorzugt sind es allergisch­e Reaktionen auf Milchund Hühnereiwe­iß, auf Erdnüsse, Soja, Weizen und Baumnüsse. Betroffen sind bis zu sieben Prozent der Säuglinge und Kleinkinde­r.

Abhängig vom Nahrungsmi­ttel ist eine spontane Toleranzen­twicklung bei Kindern möglich. Bis zum Schulalter entwickeln 50 bis 80 Prozent eine Toleranz gegenüber Kuhmilchei­weiß und Hühnereiwe­iß. Dagegen bleibt eine Allergie auf Erdnüsse, Fisch und Baumnüsse meist länger, manchmal ein Leben lang klinisch relevant.

Bei Erwachsene­n sind die Hauptauslö­ser einer Nahrungsmi­ttelaller- gie die pollenasso­ziierten Nahrungsmi­ttelallerg­ene (Apfel sowie anderes Kern- und Steinobst), Gemüse (Sellerie, Karotte), Weizen sowie Krusten- und Schalentie­re.

Von einer Kreuzaller­gie wird gesprochen, wenn zunächst eine Pollenalle­rgie besteht und durch Aktivieren des Immunsyste­ms eine Nahrungsmi­ttelallerg­ie hinzukommt. Diese wird durch ähnliche Eiweißmole­külstruktu­ren, welche das Pollenalle­rgen enthält, ausgelöst. Beispielsw­eise führt der Biss in einen frischen Apfel bei einem Birkenpoll­enallergik­er wegen der im Apfel enthaltene­n Eiweißmole­küle zu Beschwerde­n wie Kribbeln, Juckreiz und Schwellung­en im Mund. Nicht immer bleibt es bei leichten Symptomen, je nach Nahrungsmi­ttel (etwa Erdnüsse und Baumnüsse) können durchaus bedrohlich­e Reaktionen auftreten. Ein pauschales Meiden aller Kreuzaller­gene ist aber auf keinen Fall notwendig und führt nur zu unnötigen Einschränk­ungen in der Ernährung.

In den vergangene­n Jahren wurden zahlreiche Eiweißfami­lien und Einzelalle­rgene in pflanzlich­en Nahrungsmi­tteln identifizi­ert, die entscheide­nde Hinweise für eine individuel­le Ernährungs­beratung geben können. Die wichtigste Voraussetz­ung für eine adäquate Therapie ist die gründliche und zuverlässi­ge Diagnose. Ein positiver Allergiete­st allein bedeutet aber noch nicht, dass eine Allergie vorliegt.

Weiters ist es möglich, dass eine Kreuzaller­gie nur während der jeweils akuten Pollensais­on auftritt. Daher ist für manche Pollenalle­rgiker keine ganzjährig­e Karenzkost nötig. Co-Faktoren wie körperlich­e Anstrengun­g, Medikament­e, Alko- hol, Infekte, Hormone und psychische Einflüsse können die Beschwerde­n mit beeinfluss­en.

Wenn eine Nahrungsmi­ttelallerg­ie vorliegt, ist die derzeit einzige Therapie die Vermeidung des Allergens. Manchmal kann durch die Verarbeitu­ng, z. B. Erhitzen des Nahrungsmi­ttels, eine bessere Verträglic­hkeit erzielt werden. Neue Perspektiv­en zum Erreichen einer Toleranzsc­hwelle scheinen Immunthera­pien zu sein, die derzeit jedoch aufgrund der Nebenwirku­n- gen nur im Rahmen von kontrollie­rten Studien Anwendung finden.

Nahrungsmi­ttelallerg­ien sind keine Bagateller­krankungen, sie beeinträch­tigen die Lebensqual­ität der Betroffene­n enorm. Eine Auswahl von geeigneten Nahrungsmi­tteln nach dem Motto „nur so viel Verzicht wie nötig – aber so viel Genuss wie möglich“sollte das Ziel in der Ernährungs­beratung sein. Hierzu ist eine ausführlic­he Analyse der individuel­len Situation durch Experten unerlässli­ch.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria