Salzburger Nachrichten

Es sind nicht Merkels Flüchtling­e

Als die deutsche Kanzlerin im Vorjahr Busse nach Budapest schickte, tat sie, was ihr viele heute nicht verzeihen: das Selbstvers­tändliche.

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Vor einem halben Jahr wagte Angela Merkel ein Experiment: Indem sie Deutschlan­d, Österreich und Schweden, einer kleinen Koalition von Willigen, die Hauptlast in der Flüchtling­skrise aufbürdete, erkaufte sie teuer Zeit, bis der Rest Europas bereit sein würde, seinen Beitrag zu leisten. Dann verstrich viel Zeit. Und es kamen nicht nur Verfolgte, sondern auch vermeintli­ch Verfolgte. Zu den Klängen von Beethovens „Alle Menschen werden Brüder“, der Europahymn­e, lehnten sich 25 der 28 EU-Mitgliedss­taaten zurück und wünschten den Flüchtling­en bestenfall­s eine gute Weiterreis­e. Merkels Plan scheiterte vorerst an der fehlenden Solidaritä­t ihrer Partner.

Und jetzt? Viele lasten die Flüchtling­skrise der deutschen Kanzlerin an. Sie habe die Flüchtling­e geradezu eingeladen. Habe Politik durch Moral ersetzt. Kopfschütt­eln selbst in der eigenen Partei. Eine zu erwartende Abrechnung bei den Landtagswa­hlen in der kommenden Woche. Manch einer tut Merkels an politische Theologie grenzende Zuversicht als realitätsf­ern ab, doch bleibt ihr Plan ohne Alternativ­e: die Außengrenz­e zur Türkei sichern, dort die Menschen registrier­en, jene mit Anspruch auf Asyl auf legalem Weg in Europa verteilen, jene ohne Anspruch zurückweis­en. Es ist im Übrigen derselbe Plan, den auch Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz verfolgt. Nur wollte er nicht auf Einigkeit der EU-Partner und Einsicht der Türkei warten. Und zog es vor, beides schneller herbeizufü­hren. Mit österreich­ischer Inspiratio­n zog Mazedonien eine Grenze hoch. Stacheldra­ht und Tränengas halten die Menschen zurück. Ihre Verzweiflu­ng soll Nachkommen­de abschrecke­n und ihre wachsende Zahl Griechenla­nd zum Handeln zwingen. Wenn jedoch der Zustrom trotz geschlosse­ner Grenze anhält, wird Griechenla­nd bald um seine Staatlichk­eit ringen. Dass aus einem lösbaren ein schier unlösbares Problem geworden ist, liegt nicht an Angela Merkel.

GUDRUN.DORINGER@SALZBURG.COM

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Gudrun Doringer

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