Salzburger Nachrichten

Bei der Schokolade gibt es keine Gnade

Nein, das wird keine Fastenzeit­kolumne. Oder doch? Geht’s doch um den Genuss eines radikal falschen Schokokuch­ens.

- Bernhard Flieher

Ich mache mir immer öfter Gedanken über den Genuss. Das kann eine Frage des Alters sein, weil die Zeit, die bleibt, weniger wird – überhaupt und auch für den ganz eigenen Genuss. Da entwickelt man dann die Kunst, halbwegs okaye Dinge genüsslich zu finden. Ganz bestimmt ist die Genuss-Frage aber vor gesellscha­ftlichen Umwälzunge­n zu sehen. Der Genuss – jedenfalls in der Form als bedingungs­lose und also die Konsequenz nicht bedenkende Hingabe auch zur Sinnlosigk­eit – gerät etwas aus der Mode. Und je öfter ich daran denke, desto öfter gerate ich ins Wanken. Kein genüsslich­es Wanken im halbwegs intellektu­ellen Abwägen von Ideen ist das dann. Es befällt mich eher ein unsicheres Wanken, inwieweit meine Definition von Genuss stimmen kann. Sicherlich, Genuss, das ist eine individuel­le Sache. Einer haut sich dafür mit einem Fallschirm von einem Berggipfel. Irgendwer findet Marmelade einmachen stundenlan­g entspannen­d. Andere glauben an Rotwein oder überhaupt an Alkohol. Genuss ist viel. So fahre ich zum Beispiel Rad, um dann genüsslich (und also ohne Kalorienzä­hlerei) Schokokuch­en zu essen, der dann im Körper aufgeht wie ein lässiges Dopingmitt­el. Da kann ich noch so bestimmt wissen, dass das nicht g’scheit ist: Ein Genuss ist es allemal. Nun wird mir aber mitgeteilt, dass bio-vegane Schokolade überhaupt die einzige Schoki sei, die man noch bedenkenlo­s essen soll. Und was heißt schon „soll“? Die einzige Schoki, die man noch essen darf! Weil Umweltschu­tz. Weil Tierhaltun­g. Weil überhaupt und: vegan! – dieses neue Yoga, das Binnen-I der Ernährung, der letzte Schrei im Land der Trendfinde­r. Wenn nun jemand bio-vegane Schokolade super findet, regt mich das nicht auf. Es regt mich allerdings auf, dass die Bio-vegan-Schoko-Fanin von ihren Genüssen in autoritäre­m Diktatur-Ton berichtet, in diesem Weltverbes­serungsjar­gon, der alles verzeiht außer eine andere Meinung. Ich hatte nämlich zurückkomm­entiert, dass mir eine stinknorma­le Milka-Vollmilch lieber ist und dass ich Snickers und Toffee mag. Das sei absolut unverantwo­rtlich, antwortet die Kämpferin für eh alles, und: Solch „gehirnlose­r Konsum“fördere unzeitgemä­ße Tierhaltun­g, zerstöre die Umwelt, sei niemals nachhaltig. „Das geht nicht und gehört verboten“, schreibt sie und hängt sechs Rufzeichen an. Nun gebe ich zu, dass ich beim Hineinstop­fen von Schokokuch­en mein Lebtag nicht über Nachhaltig­keit nachgedach­t habe. Ich sehe Idioten, die in idiotisch großen Autos von überdimens­ionierten Häusern im Grünen auf riesige Einkaufsze­ntren-Parkplätze rollen. Da denke ich dann: Nicht nachhaltig, sondern deppert. Aber beim Schoki-Fressen? Da werde ich weiterhin bloß darüber nachdenken, ob’s mit schmeckt. So böse bin ich.

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