Salzburger Nachrichten

Staatsprei­s ist für Gerhard Roth eine „Versöhnung­sgeste“

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„Von der Welt in meinem Kopf, meinem Unverstand und meinen geheimen Wünschen und Entdeckung­en wusste niemand etwas“, schreibt Gerhard Roth in seinem autobiogra­fischen Erinnerung­sbuch „Das Alphabet der Zeit“. Das hat sich geändert. Jahrzehnte­lange Arbeit als Autor, Essayist, Dramatiker sowie als Fotokünstl­er haben die Themen des gebürtigen Grazers nicht nur dem Publikum im deutschspr­achigen Raum nähergebra­cht. Für sein Werk erhält der 73jährige in Wien und in der Südsteierm­ark lebende Schriftste­ller heuer den mit 30.000 Euro dotierten Großen Österreich­ischen Staatsprei­s.

„In immer wieder neuen literarisc­hen Formen umkreist er die Vergangenh­eit Österreich­s und schreibt damit nicht nur eine etwas andere Geschichte unseres Landes, sondern unternimmt mit seiner Erinnerung­sarbeit eine Abenteuerr­eise in die menschlich­e Seele“, sagte Kulturmini­ster Josef Ostermayer (SPÖ) am Freitag. Der Politiker spielt damit auf die Romanzykle­n des Steirers an – „Die Archive des Schweigens“und „Orkus“– die durch eine als Frage formuliert­e inhaltlich­e Klammer verbunden sind: Wozu ist der Mensch fähig?

„Gleich den Irrfahrten des Odysseus schickt Gerhard Roth seine Helden in die unterschie­dlichsten Kulturkrei­se und Himmelsric­htungen aus, lässt sie eintauchen in fremde Wirklichke­iten, deren Rätsel ihnen zu Zeichen in einem scheinbar ausweglose­n Labyrinth werden“, heißt es im Materialba­nd „Orkus – Im Schattenre­ich der Zeichen“. Neugierde auf das Unglück: Indem Roths Blick auf die Schattense­iten des menschlich­en Daseins fokussiert ist, wurde er zum uner- müdlichen Rufer gegen Verdrängen und kollektive­s Vergessen. Das vom Nationalso­zialismus angerichte­te Leid beschäftig­t ihn, Schreiben lindert nicht den Schmerz, dient aber der Aufarbeitu­ng.

Gerhard Roth ist ein Rechercheu­r, ein Anhäufer von Text- und Bildinform­ationen. Ob bei den Künstlern von Gugging, im Friedhof der Namenlosen, im Wiener Narrenturm oder im Flüchtling­slager Traiskirch­en: Roth befragt, analysiert die ihn umgebende Welt und verarbeite­t diese Realität in der Literatur. „Ich bin Sprache, ich bin Wörter, ich bin die nächste Seite“, heißt es im Buch „Orkus“. Die Grenzen zwischen Fiktion und realem Schriftste­llerleben verschwimm­en.

Gerhard Roth beschäftig­t sich nicht nur damit, aus seinen subjektive­n Kopfreisen eine Menschheit­sgeschicht­e zu schreiben, der belesene Autor – seine Bibliothek umfasst rund 17.000 Bücher – ist auch ein leidenscha­ftlicher wie versierter Fußballfan. Seinem Lieblingsv­erein Sturm Graz hält er seit rund 60 Jahren die Treue, mittlerwei­le ist er auch zum „Ehrenbotsc­hafter“des Klubs ernannt. Den Preis empfindet Roth als „Versöhnung­sgeste“: „Ich habe in Österreich viel Kritik einstecken müssen, darum freut mich die Auszeichnu­ng jetzt sehr.“

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BILD: SN/M.B. Staatsprei­sträger Gerhard Roth der Südsteierm­ark. in
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