Wer Vertrauen ernten will, muss Offenheit säen
Wenn ein Leitwolf heult, stimmen alle ein. Doch der Chefredakteur der „Zeit“gibt sich bloß ein bisschen schwanger.
Karl Valentins „Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von allen“zieht seit Ewigkeiten Sitzungen in unverdiente Längen. Andere Binsenweisheiten erleben erst kraft der Autorität eines Interpreten ihre Adelung zur Erkenntnis.
Auch so wadlbeißerisch lässt sich jene Dresdner Rede von Giovanni di Lorenzo einordnen, die seit Sonntag in intellektuellen Zirkeln wie journalistischen Kreisen kursiert und sich rasant über soziale Netzwerke verbreitet. Dass der Chefredakteur der „Zeit“unter dem Motto „Unser Ruf steht auf dem Spiel“im sächsischen Staatsschauspiel schwadroniert, befeuert jenen Diskurs, dessen Pflege das Bildungsbürgertum zugunsten von Vorurteilen und die Medienmacher im Sinne von Selbstüberhöhung allzu oft verweigern. Wenn ein Leitwolf heult, stimmen alle ein.
„Das Vertrauen in die Medien schwindet, nicht nur bei Pegida und der AfD. Es ist Zeit für Selbstkritik – und jede Menge Mut!“Diese Untertitelung ist so wenig originell wie das Zitat einer neuen Umfrage, dass nur noch 39 Prozent der Deutschen Presse, Radio und Fernsehen glauben. Eurobarometer, die regelmäßige Marktforschung der Europäischen Kommission, bemerkt diesen Ansehensverlust seit vielen Jahren. Doch dieser vollzieht sich gegenüber der Politik noch massiver. Im Abstiegskampf der gesellschaftlichen Feindbilder wirkt das wie eine Bestärkung der nicht legitimierten vierten Gewalt gegenüber Legislative und Exekutive. Also bleibt die Fähigkeit zur Selbstkritik im Journalismus unterentwickelt. Zumindest in jener öffentlichen Form, die geradezu berufskonstituierend ist.
Dieser Verweigerung der Absender steht aber seit jeher eine ebenso selbstgerechte Ignoranz der Empfänger gegenüber: Das Unwissen über die grundlegende Verfasstheit von Medien ist sogar in den vermeintlichen Eliten atemberaubend und übertrifft noch die grassierende Ahnungslosigkeit zu fundamentalen politischen Gegebenheiten. Die breite Wissenslücke des Gemeinwesens hat in Kombination mit seinem schwindenden Institutionenvertrauen eine Arroganz des Journalismus gegenüber seinen Lesern, Hörern und Sehern beför- dert. So wie der Mangel an politischer Bildung ein Wahlhelfer für AfD und FPÖ ist, wirkt das Manko an Medienkunde als Turbo für den Vorwurf „Lügenpresse“.
Giovanni di Lorenzo hat in Dresden mit wohlgesetzten Worten dagegen argumentiert. Er sprach dabei weniger mit seinem Publikum als mit den abwesenden Kollegen. Und er nannte zahlreiche Fehlleistungen und einige gute Umgänge damit. Doch er erwähnte einen persönlichen Sündenfall (doppelte Stimmabgabe bei der Europawahl) nur in einem Halbsatz und verschwieg ein Totalversagen (Germanwings-Absturz) seines Blattes. Dadurch liefert er jenen neue Munition, die ihm nicht im Dresdner Staatsschauspiel lauschten, sondern überall draußen vor der Tür ihre Verschwörungstheorien von der „Lügenpresse“stricken. Wer Vertrauen ernten will, darf sich nicht ein bisschen schwanger geben. Transparenz oder Nichtsein, das ist hier die Existenzfrage.
Peter Plaikner