„Wir haben mehr Dealer auf der Straße als Konsumenten“
Die Drogenkriminalität in Wien ufert immer weiter aus. Mitten am Tag wird entlang der U-Bahn-Linie U6 auf offener Straße gedealt. Wie sich das auf Nobelbezirke auswirkt.
WIEN. Gut zehn Minuten sind es zu Fuß von der U6-Station Thaliastraße bis zur Wohnung von Bundespräsident Heinz Fischer im achten Wiener Gemeindebezirk. Die Josefstadt, das ist der flächenmäßig kleinste Bezirk Wiens, mit einem der höchsten Mietpreise und einem sehr guten bürgerlichen Ruf.
Doch das mit dem Ruf ist im Moment so eine Sache. Denn die Josefstadt, oder vielmehr ihre U-BahnStationen Thaliastraße und Josefstädter Straße, sind zum öffentlichen Umschlagsplatz der Drogenszene geworden. Meist dunkelhäutige Männer, die in Großgruppen von bis zu 15 Personen agieren und ungeniert auf offener Straße am helllichten Tag dealen, finden sich hier.
Schuld daran ist eine Novellierung des Paragrafen 70 StGB, die zu Jahresbeginn in Kraft trat. Vereinfacht gesagt wird darin die sogenannte Gewerbsmäßigkeit geregelt. Wurde ein Straßendealer bisher mit Drogen erwischt, reichte das in der Regel für den Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit. Das wussten die Dealer, gingen der Polizei aus dem Weg und hielten sich bei ihren Geschäften bedeckt.
Durch das neue Gesetz liegt Gewerbsmäßigkeit nun erst vor, wenn nicht nur eine Tat, sondern zwei weitere konkret geplant oder begangen wurden. Und: Diese nachgewiesen werden können. Eine Voraussetzung für die Verhängung der U-Haft. – Auch das wissen die Dealer.
„Drei Mal, das ist wie ein Freifahrtsschein“, sagt ein Suchtgiftermittler, der nicht namentlich genannt werden will. In einem frisch gebügelten Hemd sitzt er in einem Café entlang der U6. „Frag mal einen Drogenfahnder, wie motivierend es ist, wenn dir Dealer sagen, dass du ihnen als Kieberer gar nix kannst. Die Verdächtigen sind schneller draußen, als die Tinte im Akt trocken ist.“
Hemd trägt der junge Mann, der neben dem U6-Aufgang Fahrtrichtung Floridsdorf wartet, nicht. Da- für eine Military-Jacke mit Kapuze. Viele sind es, die mit ihm auffällig unauffällig warten. Wird potenzielle Kundschaft ausgemacht, folgt ein eingespieltes Prozedere: Blickkontakt, kurzes Kopfnicken, ein gemurmelter Satz. „Was du brauchen?“Das Angebot reicht von Marihuana über Kokain bis hin zu Pillen. Der Rest könne problemlos besorgt werden. Der Rest, er liegt in sogenannten Bunkern. Drogenverstecke, die die Dealer rund um ihre Verkaufsplätze anlegen. Im 16. Wiener Gemeindebezirk – linker Ausgang Thaliastraße – wurden deswegen extra die Büsche gestutzt. Motto: weniger Gestrüpp, weniger Möglichkeit zum Drogenbunkern.
Beim rechten Ausgang der Thaliastraße, jener auf die Lerchenfel- der Straße, werden die Bäume durch Innenhöfe und Keller ersetzt. So kann es schon vorkommen, dass Anwohner in ihren Kellern „Gift“, wie Drogen im Szenejargon heißen, entdecken oder beim Durchqueren des Innenhofs Männer treffen, die Plastikbeutel mit illegalen Substanzen aus Blumentöpfen ausgraben. Kokainbeutel, wo eigentlich Tulpen wachsen sollten. – Fünf Minuten Gehdistanz entfernt von der Wohnung von Bundespräsident Fischer.
Bezirksvorsteherin Veronika Mickel (ÖVP) kennt die Bedenken der Josefstädter: „Ich bekomme viele Rückmeldungen von besorgten Bürgern und Unternehmen. Weil die Drogenszene entlang der U6 sichtbar ist.“100.000 Euro seien in der Vergangenheit bereits in Sozial- arbeit investiert worden, die Polizei wurde aufgestockt und Ende März soll es einen eigene Informationsabend für die Josefstädter geben. „Es gibt Restaurants, in denen sich Gäste besorgt zeigen, ob sie wegen der vielen Dealer auf der Straße noch hingehen können. So etwas gab es noch nie. Wir sind der sicherste Bezirk Wiens und das wollen wir auch bleiben“, sagt Mickel. Ja, die Sicherheit. 2013 erhob das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) das Sicherheitsgefühl der Bewohner von Wiener Bezirken. Demnach fühlten sich die Einwohner des Arbeiterbezirks Favoriten mit einer Schulnote von 2,33 am unsichersten. Am besten schnitten laut der Befragung die Bewohner in der Josefstadt (Note
„Revierkämpfe, die nicht selten mit dem Messer gelöst werden.“
1,65) und in Wieden ab.
Dass die Liberalisierung des Strafgesetzes nach hinten losgegangen ist, haben auch Innenund Justizministerium eingesehen. Noch im März bzw. April soll sich das Parlament damit beschäftigen. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim bestätigt im SNGespräch, dass Mitte des Monats ein Antrag zur Verschärfung der geltenden Regeln eingebracht wird. Hauptziel: den Drogenhandel weg von der Straße zu bringen. „Wenn wir sehr ambitioniert denken, könnte es im Mai so weit sein“, sagt Jarolim.
Im Café an der U6 sorgt das beim Polizisten mit dem frisch gebügelten Hemd für zustimmendes Kopfnicken. „Wir haben schon mehr Dealer auf der Straße als Konsumenten.“Die Folge seien Revierkämpfe, „die nicht selten mit Messern gelöst werden“, sagt er, zieht seine Jacke mit Kapuze an und geht.
Richtung U6. Richtung Arbeit.
(Note 1,78)