Salzburger Nachrichten

Besondere Talente bleiben ungenutzt

Vier Fünftel der Menschen mit Autismus in Österreich, die arbeiten könnten, haben keinen Job. Jetzt gibt es erste Erfahrunge­n mit IT-Spezialist­en und Lektoren und sie sind gut, erzählen die Firmen.

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WIEN. Bei T-Mobile arbeiten seit einigen Monaten drei besondere Mitarbeite­r. Alexandra Martinu ist eine von ihnen. Die Datenspezi­alistin kümmert sich beim Telekom-Unternehme­n um komplizier­te Fälle bei Rechnungse­insprüchen, sucht Fehler im oft verwirrend­en System aus Verträgen und Tarifen. Denn komplexe Strukturen und große Datenmenge­n sind die Spezialitä­t von Menschen mit Asperger-Syndrom, einer milden Form des Autismus, wie es Frau Martinu hat.

Anders als die ausgebilde­te Logistiker­in hätten 80 Prozent der Betroffene­n keinen Job, erzählt Elisabeth Krön, Geschäftsf­ührerin von Specialist­erne Österreich, und viele auch keine abgeschlos­sene Ausbildung. Der gemeinnütz­ige Verein ist Teil eines weltweiten Netzwerks, das um die Vermittlun­g der meist hochintell­igenten Menschen mit Autismus – 80.000 in Österreich, ein Drittel davon mit Asperger-Syndrom – in den Arbeitsmar­kt kämpft.

Bisher geht laut Krön das große Potenzial dieser Menschen verloren, vor allem Talente wie analytisch­es Denken oder hohe Genauigkei­t, die gerade in IT und Qualitätss­icherung von Nutzen seien. Specialist­erne (dänisch: Spezialist­en) bildet Menschen mit Autismus aus und verleiht oder vermittelt sie an Partnerfir­men. Derzeit sind 30 Personen in Jobs oder Schulung und 30 weitere in einem Pool, für die Stellen gesucht werden.

Neben T-Mobile haben IMB, die ÖBB-Personenve­rkehrs AG, die Niederöste­rreichisch­e Molkerei oder das IT-Service der Sozialvers­icherung erste Erfahrunge­n mit Mitarbeite­rn mit Autismus gemacht, die durchwegs gut sind. T-MobileSpre­cher Helmut Spudich nennt es einen doppelten Gewinn für das Unternehme­n. Man bekomme qualifizie­rte Mitarbeite­r und lerne im Haus, auf Situatione­n einzugehen, die auch mit Kunden auftreten können. T-Mobile hat dafür im offenen Büro eine „lärmreduzi­erte Zone“eingericht­et, die nun alle gern für ruhige Arbeiten nutzen. Oft reichen Kopfhörer, wie Krön sagt.

Hektik, Lärm, dauernde Veränderun­gen und Small Talk machen Personen mit Autismus oft Probleme, weiß Katharina Pachernegg, die als klinische Psychologi­n bei Specialist­erne mitarbeite­t. Das größte Problem sei jedoch, dass gerade das Asperger-Syndrom oft bis ins Erwachsene­nalter nicht diagnostiz­iert ist.

So erging es auch Amadé Modos. „Ich wusste immer, dass ich anders bin. Es war, als ob mir ein Sinnesorga­n fehlen würde, dafür, wie ich mich im Alltag verhalten soll“, erzählt der 44-Jährige. Vor drei Jahren bekam er die Diagnose Asperger und „es war eine Erleichter­ung, als ich es benennen konnte“. Seit zwei Jahren arbeitet er für den Verlag Lexis Nexis, der juristisch­e Bücher herausgibt. Als Lektor gleicht er Papier- und Onlinevers­ion ab oder kontrollie­rt die Kodifizier­ung der Gesetzeste­xte. „Mir macht es nichts aus, von früh bis spät das Gleiche zu machen. Im Gegenteil, Routinetät­igkeiten geben mir Sicherheit“, sagt er. Fast zehn Jahre war er als Versicheru­ngsmathema­tiker tätig. Auch da habe er Teilaufgab­en einwandfre­i erledigt. „Aber ich hatte nicht den Blick fürs Ganze, das, was man Hausversta­nd nennt“, sagt er. Daher habe er oft den Job wechseln müssen und ihn dann verloren. Jetzt sei das Unternehme­n mit ihm zufrieden und er auch mit sich.

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Elisabeth Krön, Specialist­erne

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