Salzburger Nachrichten

Sitzfußbal­l und Plombenzie­her

- Martin Behr

ICHwundere mich. Darüber, wie intensiv so manches, wahrlich nicht so bedeutsame­s Erlebnis in meiner Erinnerung fix verankert ist. In allen Details. Auch wenn seither bereits mehrere Jahrzehnte vergangen sind. An ein im Sitzfußbal­l-Match (wer spielt heute noch Sitzfußbal­l?) in der Volksschul­e erzieltes Bein-über-Kopf-Volleytor beispielsw­eise. Oder an das ungute Gefühl, in die mit der Zeit nass gewordenen roten Wollhandsc­huhe zu beißen, so geschehen beim ersten Schulskiku­rs im Jahre Schnee.

Mein Gott, ist das alles lange her. Und doch so nah. Der Kauf der ersten Schallplat­te im Großkaufha­us etwa. Erst hörte ich mir einige Singles an, nicht via Kopfhörer, sondern mit einem an einen flachen Telefonhör­er er- innernden Lautsprech­ergerät und schon wanderte „Kiss and Say Goodbye“von The Manhattans (wer kennt die heute noch?) über den Ladentisch. Vielleicht hatte ja der Aufkleber „Nr. 1 Hit in den USA“den Ausschlag gegeben. Das Empfinden, mit diesem Kauf als Zwölfjähri­ger den Aufstieg in die Liga der Erwachsene­nwelt geschafft zu haben, ist mir immer noch gegenwärti­g.

Oder: der würzige Geschmack der sonntäglic­hen Frittatens­uppe, serviert in silbrigen, bauchig-ausgebeult­en Suppenport­ionierern (wer verwendet diese Küchenuten­silien heute noch?) im Stammbeisl der Eltern. Einzigarti­g. Oder der Versuch, die von der TV-Sendung „Aktenzeich­en XY“(wer hat sich einst nicht gefürchtet, wenn es hieß: „Plötzlich machte der Spaziergän­ger eine grausige Entdeckung“?) massiv genährten Ängste beim nächtliche­n Heimweg dadurch zu überspiele­n, dass ich mich in eine Scheinwelt als gefeierter Geher bei Olympische­n Spielen imaginiert­e. Ein gemurmelte­r Kommentar eines fiktiven Sportrepor­ters („Er liegt schon wieder auf Rekordkurs! Wahnsinn!“) vertrieb, oder besser gesagt, überdeckte die Furcht.

Ich wundere mich wirklich, warum ich heute noch exakt weiß, wie die MannerKara­mellen (Die köstlichen Plombenzie­her dürften einigen heute noch bekannt sein), Schwedenbo­mben und Schokobana­nen neben der alten Registrier­kasse des Greißlers angeordnet waren. Und wie das alles gerochen hat. Nutzloses Wissen fördert die Melancholi­e. Bitter und süß.

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