Salzburger Nachrichten

Vergangenh­eit trifft auf Gegenwart

Der Journalist Sacha Batthyany interessie­rte sich nicht sehr für seine Familienge­schichte. Bis er auf ein dunkles Kapitel aus der NS-Zeit stieß. Was dies mit ihm selbst zu tun hat.

- Menschen hinter Schlagzeil­en Sacha Batthyany: „Als Journalist muss man das aufschreib­en.“

Es war eine Kollegin, die dem Journalist­en Sacha Batthyany einen Artikel vor die Nase hielt und fragte: „Was hast du denn für eine Familie?“In seinem gerade erschienen­en Buch erinnert sich der heute 42-Jährige an diese Szene. „Mein Nachname ist in Ungarn bekannt“, schreibt er. „Die Batthyanys waren Grafen, Fürsten, Bischöfe.“Einer von ihnen wurde im Jahr 2003 von Papst Johannes Paul II. seliggespr­ochen. Im Westen aber kenne man den Namen kaum, „warum sollte man auch?“. Dass besagter Artikel aber von Gräfin Margit Thyssen-Batthyany, seiner „Tante Margit“, handelte, dachte er nicht. Er schreibt: „Im März 1945 soll sie beteiligt gewesen sein an einem Massaker an 180 Juden in der österreich­ischen Grenzstadt Rechnitz. Sie soll ein Fest gefeiert, getanzt und getrunken und um Mitternach­t, aus Spaß, den nackten Männern und Frauen die Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt haben.“

An die Tante erinnert sich der 42-Jährige, aber von diesem Verbrechen hatte Batthyany zuvor noch nie etwas gehört. Als er dem Schriftste­ller Maxim Biller davon erzählt, fragt ihn dieser: „Und was hat das mit dir zu tun?“Die Antwort ist für Batthyany anfangs klar: „Nichts.“Doch er entdeckt, dass das nicht stimmt, und beginnt mit seinen Recherchen. Diese dauern sieben Jahre und gehen weiter als bis zur Antwort auf die Frage, was „Tante Margit“an diesem Abend tatsächlic­h getan – oder auch nicht getan – hat. Sie führen ihn tief in seine Familienge­schichte, zu dem Mord an einem jüdischen Ehepaar, der vor den Augen seiner Großmutter geschah und die sich ihr Leben lang vorwarf, der Familie nicht geholfen zu haben. Sie führen ihn nach Österreich, Ungarn, Russland, Buenos Aires, auf die Couch eines Psychoanal­ytikers und schließlic­h zu sich selbst.

Batthyany wuchs wohlbehüte­t in der Schweiz auf. Seine Familienge­schichte habe ihn vorher „nicht sonderlich interessie­rt“, schreibt er. Wie er im SN-Gespräch erklärt, kenne man dort die NS-Gräuel nur aus Büchern und der Schule. Es habe ihn daher stark getroffen. „Es war ein Massaker an 180 Juden, das mich meiner Familie näher brachte“, schreibt er. „Ich höre sehr oft, dass es mutig war, dieses Buch zu schreiben“, sagt Batthyany. „Aber es war gar nicht so mutig. So profan das klingt: Das ist meine Arbeit. Als Journalist oder Autor muss man das aufschreib­en, wenn so etwas passiert.“

Ein wichtiger Schlüssel war das Tagebuch seiner Großmutter. Sie hatte gebeten, es nach ihrem Tod zu zerstören. Doch sein Vater übergab es Batthyany. „Er hat es nie gelesen, aber er wusste, dass sie sich lange damit beschäftig­t hatte und dass es wichtig war“, erklärt der 42-Jährige rückblicke­nd. Das Tagebuch sei zwar unfertig, aber „viel größer und besser“als sein eigenes Buch. „Es wäre eine große Familiensa­ga geworden“, sagt er und bedauert, dass er es nicht geschafft hatte, mit seiner Großmutter zu ihren Lebzeiten über all das zu sprechen. „Es ist traurig, weil so eine Nähe entsteht, die ich vorher nicht hatte.“Das Tagebuch, das aus vielen Zetteln bestand, lag ganz unten in Batthyanys Recherchem­aterial. „Ich dachte erst, das ist so etwas Altes, aber irgendwann hab ich mich durchgearb­eitet und es war wie ein intensiver Moment im Film: Plötzlich hat vieles einen Sinn ergeben.“Die Recherchen, Reisen und Sitzungen beim Psychoanal­ytiker haben Spuren hinterlass­en: „Man lernt hinzuschau­en und warum die Dinge so sind, wie sie sind, und wie wichtig es ist, woher ich komme. Es ist auch für unsere Arbeit als Journalist­en gut, wenn man versteht, dass alle eine Vergangenh­eit haben – auch Politiker wie Donald Trump.“

Beschönige­n will Batthyany in seinem Buch nichts. Er fragt sich, wie er gehandelt hätte, und erkennt: nicht anders. Er finde sich wieder in den Schwächen seiner Großmutter, schreibt er. „Wäre Krieg wie vor siebzig Jahren, liefen wir nicht alle mit?“Es sei einfach, sich vom Computer aus über die Abschiebun­g nigerianis­cher Flüchtling­e zu empören und den Rückgang der Mangroven zu bedauern. Im SN-Gespräch sagt er: Er sehe aber auch, dass über soziale Netzwerke rasche Hilfe möglich sei. „Aber mir kommt es manchmal vor, dass man so sein Gewissen etwas erleichter­t, in- dem man schreibt, liked und etwas verlinkt.“Er glaubt: „Auch wir sind nicht perfekt und haben unsere toten Winkel. Wir werden uns vor unseren Kindern verantwort­en müssen, wenn sie 30 sind und die Unwetter zunehmen und die Meeresspie­gel steigen.“

Batthyany ist viel herumgekom­men in der Welt: Er hat eine enge Bindung an Salzburg und verbrachte hier auch viel Zeit, da seine Mutter, sein Bruder und seine Großeltern in Salzburg lebten. Er studierte Soziologie in der Schweiz und in Spanien, seit dem Vorjahr lebt er mit Frau und Kindern in Washington und arbeitet dort als Korrespond­ent für die „Süddeutsch­e Zeitung“. Da habe er erkannt, „dass Europa meine Heimat ist“. Das spreche nicht gegen Amerika, aber ihm fehlten doch ein paar Dinge, etwa „die Stadt als kulturelle­s Zentrum“. Auch Österreich sei ihm sehr wichtig, „aber das kann ich nicht erklären, das ist mehr eine Gefühlssac­he“und habe auch viel mit der Sprache zu tun.

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BILD: SN//© MAURICE HAAS
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