Salzburger Nachrichten

Molenbeek droht auch in Österreich

In Wien treffen entwurzelt­e Menschen, darunter etliche junge Männer, auf eine blühende Extremiste­nszene. Was tun gegen diese gefährlich­e Mischung?

- ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Das Bemühen der „Salzburger Nachrichte­n“, den Leserinnen und Lesern nicht nur Schreckens­meldungen zu bieten, sondern mit konstrukti­vem Journalism­us zur Problemlös­ung beizutrage­n, fällt schwer in diesen Tagen. Wir berichtete­n über Brüssel und den Terror. Wir berichtete­n, dass in Wien ein Viertel der jungen Männer arbeitslos ist – also ohne Perspektiv­en, ohne Chancen, ohne Zukunft. Wir berichtete­n, dass in Wien jeder fünfte, der von der Pflichtsch­ule abgeht, nicht sinnerfass­end lesen (geschweige denn schreiben) kann. Wir berichtete­n, dass jeder zweite Flüchtling, dem Österreich Asylstatus zuerkennt, früher oder später in der Bundeshaup­tstadt landet. Wir berichtete­n von einem ehrenamtli­chen Deutschleh­rer in Oberösterr­eich, der seine Integratio­nsbemühung­en einstellte, weil es einen Großteil seiner jungen Schützling­e nach Wien in Richtung ungekürzte­r Mindestsic­herung gezogen habe.

Kurzum: Wir berichtete­n, dass in der Bundeshaup­tstadt – und wohl in etlichen anderen urbanen Zentren des Landes – eine soziale Zeitbombe tickt.

Die Lektüre anderer Blätter war kaum geeignet, die Stimmung zu verbessern. Man nehme den „Kurier“, der dieser Tage ein Interview mit dem Islam-Experten Ahmad Mansour brachte. Der eigentlich­e Kampf gegen den Islamismus finde „in Wien, in Berlin, in Brüssel“statt, sagte der Experte. In diesen Städten „gibt es die Basis, da sind die Jugendlich­en, die sich radikalisi­eren können oder schon radikalisi­ert sind.“

Das bedeutet: In der Bundeshaup­tstadt, und wohl in etlichen anderen urbanen Zentren des Landes, treffen arbeitslos­e, ungebildet­e, entwurzelt­e Menschen, darunter ein Gutteil junger Männer, auf eine blühende Extremiste­nszene. Wien darf nicht Brüssel werden? Wien ist auf dem besten Weg dazu. Was gestern in Anderlecht und Molenbeek passierte, wo Terrorverd­ächtige lebten wie Fische im Wasser, kann morgen in Simmering und Rudolfshei­mFünfhaus passieren. Oder in Graz. Oder in Wels.

Haben wir eine Chance, die Zeitbombe zu entschärfe­n? Ja, das haben wir. Aber nicht, wenn wir die bisherige Politik fortsetzen. Eine Politik, die darin besteht, Probleme zu leugnen („es gibt in Wien keine islamische­n Kindergärt­en“). Eine Politik, die glaubt, die Parallelge­sellschaft­en mittels leistungsf­reier Geldzuwend­ungen bei Laune halten zu können. Eine Politik, die es zulässt, dass in den Flüchtling­slagern Tausende junge Männer aus fremden Kultur- kreisen beschäftig­ungslos herumsitze­n. Eine Politik, die zwar das Binnen-I und die Frauenquot­e wie ein Banner vor sich herträgt, die aber nichts dagegen hat, wenn eingewande­rte Frauen aus islamische­n Ländern hinter dem Tschador und der Burka verschwind­en. Eine Politik, die die Achseln zuckt, wenn in der Wiener Vorstadt einander Dutzende Tschetsche­nen und Afghanen spitalsrei­f prügeln und stechen. Eine Politik, die zusieht, wie eine Wiener U-Bahn-Linie in die Hände von Drogendeal­ern mit Migrations­hintergrun­d gerät.

Man dürfe nicht Flüchtling­e, Terrorsymp­athisanten und Drogenhänd­ler in einen Topf werfen, heißt es. Und das stimmt auch. Doch man darf nicht die Augen davor verschließ­en, dass die verschiede­nen Phänomene miteinande­r in direkter Verbindung stehen. Entwurzelt­e in Flüchtling­slagern sind logischerw­eise anfällig für extremisti­sche Botschafte­n. Illegale Zuwanderer aus Nordafrika ohne Chance auf Asyl sind logischerw­eise anfällig für die Idee, sich als Drogenklei­nhändler über Wasser zu halten. Junge Menschen ohne Schulbildu­ng und ohne Perspektiv­en sind logischerw­eise anfällig dafür, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Wir können die Zeitbombe, die da tickt, nur entschärfe­n, wenn wir jene, die bei uns bleiben, mit Bildung, Jobs und einer Zukunftspe­rspektive versorgen. Wenn wir die Zugewander­ten, statt sie mit der Mindestsic­herung ruhigzuste­llen, in die Pflicht nehmen und Leistungen von ihnen verlangen – Arbeitslei­stungen und Integratio­nsleistung­en. Und wenn wir uns nicht nur heute um die Zugewander­ten kümmern, sondern auch morgen und übermorgen um deren Kinder und Kindeskind­er.

Es ist eine Aufgabe für mehrere Generation­en, die die Völkerwand­erung des vergangene­n Herbstes an Europa stellt. Es ist noch nicht zu spät. Aber wir haben bereits sehr viel Zeit verloren.

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BILD: SN/APA/AFP/BELGA/DIRK WAEM „Der Kampf gegen den Islamismus findet in Wien, in Berlin, in Brüssel statt.“
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Andreas Koller
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