„Die Kontrollen sind ein Rückschritt“
Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher nennt Österreichs Kurs in der Flüchtlingspolitik falsch.
Österreichs Regierung plant nach Ostern die Einführung von Grenzkontrollen am Brenner. Die SN sprachen darüber mit Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher von der ÖVP-Schwesterpartei SVP. SN: Österreich will am Brenner eine große Grenzanlage bauen, inklusive Zaun, und den Verkehr kontrollieren. Was bedeutet das für Südtirol? Kompatscher: Schengen war für uns der Meilenstein bei der Wiederzusammenführung der historischen Landesteile Tirols. Es ist ein europäischer Weg, nicht rückwärtsgewandt, nicht nationalstaatlich. Europäisch, das heißt eben nicht: neue Staaten, neue Grenzen. Dass jetzt wieder Kontrollen kommen sollen, ist ein enormer Rückschritt. SN: Ein Rückschritt also auf mentalem, psychologischem Gebiet? In erster Linie ist das für uns ein großes politisches Problem. Wir haben Verständnis, wenn Österreich sagt: So geht’s nicht weiter. Aber wieder Binnengrenzen zu errichten, Kontrollen durchzuführen: Diesen Weg und den Lösungsansatz halten wir für falsch. Wir werden auf allen Ebenen weiter Druck machen, dass es endlich zu einer europäischen Politik kommt. Zur Umsetzung von Schengen, nicht zum Gegenteil davon. SN: Sie hätten jahrelang „geschwafelt“, sagt ein Südtiroler Oppositionspolitiker. Künftig werde Südtirol „außerhalb des Zauns und außerhalb Europas“stehen. Natürlich gibt es in Südtirol Menschen, die die Autonomie für unzureichend halten und einen eigenen Staat oder eine Grenzverschiebung fordern. Aber selbst jene müssten sich bewusst sein, dass die jetzige für ihr eigenes, ohnehin unrealistisches Projekt kontraproduktiv ist. In einem Europa, das immer nationalistischer wird, werden solche Visionen ja keineswegs realer. SN: Weil gerade dann der Druck auf Minderheiten wächst? Gerade deshalb gilt es den europäischen Weg zu gehen. Mit der kurzfristigen Politik der Grenzschließung setzt man wesentlich mehr aufs Spiel, als manche glauben. SN: Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fordert von Italien, es solle seine Grenzen sichern. Bedeutet das irgendetwas? Es gibt europäische Regeln, die die Sicherung der Außengrenzen vorsehen. Es gibt aber auch europäische Regeln zur Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten! Und es gibt die Visegrád-Staaten . . . SN: Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei . . . . . . die sich daran nicht halten wollen. Österreich befindet sich, obwohl es schon viel geleistet hat, jetzt auch in dieser Gesellschaft. SN: Welchen realen Hintergrund hat die österreichische Aufforderung an Italien, 7600 Kilometer Küstenlänge zu sichern? Ich bin nicht der Pflichtverteidiger des italienischen Staates, und Italien hat auch zu wenig getan.
Andererseits muss aber klar sein, dass man die Aufgabe nicht Griechenland oder Italien allein überlassen darf. Es geht auch um eine europäische Politik in den Herkunftsländern. Mit Militärpatrouillen allein wird es nicht getan sein. SN: Vielleicht bedeutet die Aufforderung ja auch nur: Wir wissen nicht, ob und wie Italien die Außengrenzen sichern kann. Es ist uns auch egal. Die Konsequenz ist in jedem Fall: Wir schließen die österreichischen Grenzen! Das ist die Politik der europäischen Entsolidarisierung, die sicher in die Sackgasse führt. Am Ende fällt sie auch jenen auf den Kopf, die sie jetzt propagieren. SN: Werden Sie von Österreich über die konkreten Pläne für den Brenner informiert? Wenn die Kontrollen schon kommen sollen, bemühen wir uns auf der Verwaltungsebene natürlich darum, die Folgen möglichst gering zu halten – im ständigen Austausch mit Tirol, aber auch mit dem italienischen Staat. SN: Das heißt, Sie wissen, was da kommen soll? Wir sind umfassend informiert, haben Einfluss genommen und Forderungen gestellt. Prinzipiell bleiben wir aber dabei, dass das die völlig falsche Politik ist. SN: Sind Forderungen erhört worden? Da gibt es durchaus ein Einsehen. Anfangs hieß es: Am Brenner wird es wie in Spielfeld sein. Aber inzwischen ist den Verantwortlichen ziemlich deutlich bewusst, dass der Brenner eine ganz andere Dimension hat: Hier fahren zehn Millionen Fahrzeuge jährlich, zwei Millionen allein sind Lkw. Das muss man anders organisieren. SN: Heißt das: Am Ende gibt es Kontrollen, die man gar nicht merkt? Es ist angekündigt worden, man werde alles tun, um den Personenund Güterverkehr möglichst wenig zu beeinträchtigen. SN: Ein anderer Oppositionspolitiker in Südtirol schlägt vor, man solle nicht am Brenner kontrollieren, sondern an der Salurner Klause, also zwischen dem vorwiegend deutschsprachigen Südtirol und dem italienischsprachigen Trentino. Das ist eine Provokation. Südtirol ist kein eigener Staat. Ausdenken kann sich so etwas nur ein Oppositionspolitiker. Hier jubeln Leute derselben nationalistischen Politik zu, die vor hundert Jahren zur Errichtung der Brennergrenze geführt, die Europa zwei Mal in die Katastrophe geführt hat – und die jetzt auch wieder der Grund ist für das Versagen der europäischen Politik.
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