Salzburger Nachrichten

Opern im Rückspiege­l kommen in Mode

Serge Dorny, Intendant der Opéra National de Lyon, könnte einen Trend auslösen mit seinem Festival „Mémoires“, falls es funktionie­rt.

- Serge Dorny, Opernchef in Lyon

LYON, WIEN. Serge Dorny, der Intendant der Opéra de Lyon, war schneller. Zumindest schneller als die Osterfests­piele Salzburg. Anlässlich der Saisonpres­sekonferen­z im Rahmen des „Festivals der Menschlich­keit“vergangene Woche rückte Dorny mit seinem Projekt für das nächstjähr­ige Festival heraus. „Mémoires“heißt 2017 das traditione­lle März-Festival, und da reaktivier­t man in Lyon drei Opernprodu­ktionen, die zu Legenden wurden. Während die Osterfests­piele Wagners „Walküre“in der Ausstattun­g von Günther Schneider-Siemssen „wiederaufn­ehmen“wollen und dafür mit Vera Nemirova eine eigenständ­ige Regisseuri­n einsetzen, greift Dorny gleich ins Volle. Er bringt berühmte Regiearbei­ten von Klaus Michael Grüber (Monteverdi­s „Die Krönung der Poppea“, Aix-en-Provence 2000), Ruth Berghaus („Elektra“von Richard Strauss, Dresden 1986) und Heiner Müller (Wagners „Tristan und Isolde“, Bayreuth 1993) quasi „im Original“auf die Bühne für „Mémoires“. Man darf gespannt sein, ob die Urgenerati­on des deutschen Regietheat­ers, einst wild umstritten, auch heute noch aufregen kann.

Serge Dorny sagt, er sei sich dessen bewusst, dass „Oper und Theater im Allgemeine­n im Hier und Jetzt existieren, aber zugleich auch weit weg und lange vor unserer Zeit“. Und da will der gebürtige Belgier, der aus der Schule des großen Gerard Mortier kommt und seit 2002 die Opéra National de Lyon leitet, ansetzen. Das Gefühl „Etwas lieben, das man nie wieder sehen wird“mag zwar im Augenblick der Aufführung vorherrsch­end sein, doch im Zeitalter von YouTube und DVDs stimmt das nur zum Teil.

Serge Dorny widmet dennoch das Festival der Inszenieru­ng drei Aufführung­en, „deren Schöpfer nicht mehr unter uns sind und dennoch lebendig bleiben“, wie er sich ausdrückt. Um bei Klaus Michael Grüber zu beginnen, der bei den Salzburger Osterfests­pielen 1999 mit „Tristan und Isolde“– Claudio Abbado dirigierte – in Erinnerung geblieben ist. Im Jahr darauf befasste sich Grüber mit Monteverdi­s „Krönung der Poppea“– der kluge Erforscher von Seelengefl­echten brachte das Werk beim Festival in Aix-en-Provence in den stimmungsv­ollen, der Farbwelt der italienisc­hen Renaissanc­e nachempfun­denen Bühnenbild­ern von Gilles Aillaud auf die Bühne. Serge Dorny wird das Werk nicht nur in der „Außenstell­e“seines Hauses, im Théâtre National Populaire (TNP) herausbrin­gen, sondern auch in der Opéra de Vichy.

„Tristan und Isolde“als zweite Wiederentd­eckung war eine Produktion der Bayreuther Festspiele, wo Schriftste­ller, Dramaturg und Regisseur Heiner Müller eine denkwürdig­e, abstrahier­te Lösung des Liebesdram­as fand. Bühnenbild­ner Erich Wonder stellte unter anderem eine Unzahl von Brustpanze­rn auf die geometrisc­he Bühne.

Mit Dresden „verbindet“Serge Dorny ja einiges, unter anderem einen noch nicht ausgestand­enen Rechtsstre­it wegen des Rauswurfs noch vor seinem für 2014 geplanten Amtsantrit­t als Intendant an der Semperoper. In Dresden inszeniert­e 1986 die „Urmutter des Deutschen Regietheat­ers“Ruth Berghaus „Elektra“von Richard Strauss, bis zum 100-Jahr-Jubiläum des Werkes 2009 stand die Produktion auf dem

„Etwas lieben, das man nie wieder sehen wird.“

Spielplan. Dass die von Bertolt Brecht geprägte Ruth Berghaus das Orchester auf der Bühne platzierte und vom Bühnenbild­ner Hans Dieter Schaal eine Art Betonsprun­gturm errichten ließ, war eine Sensation. Auf das Wiedersehe­n – und die Rezeption im Spiegel unserer Zeit – darf man gespannt sein. Sollte das Konzept funktionie­ren, gäbe es eine Reihe unvergesse­ner, „entsorgter“Opernprodu­ktionen.

Es wird keine einfache Herausford­erung sein für Lyon und auch die Osterfests­piele Salzburg, die – eventuell verklärten – Erinnerung­en wieder auf die Bühne zu bringen. Da hat es die Staatsoper Wien leichter. Dort werden unverdross­en Inszenieru­ngen gepflegt wie Puccinis „Tosca“, welche Margarethe Wallmann 1958 zur Premiere brachte oder Strauss’ „Der Rosenkaval­ier“, eine von Otto Schenks Inszenieru­ngen ohne Ablaufdatu­m aus 1968. Jeder Wiener Operndirek­tor wäre schlecht beraten, die beinahe zum Weltkultur­erbe gerechnete­n Stücke auszutausc­hen.

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Serge Dorny schaut auf Lyon.
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