Osterglocken und Zivilcourage
Voll Begeisterung habe ich am Freitag von der Idee gelesen, am Karfreitag um 15 Uhr die Glocken läuten zu lassen. Zwar stehe ich der Kirche durchaus kritisch gegenüber, aber dieser Akt von Zivilcourage hat mich fast wieder versöhnt. So wie ich im August stolz auf Österreich gewesen bin, bin ich am Freitag stolz und hoffnungsvoll gewesen, da solche Aktionen möglich sind. Leider bin ich nun wieder in der Realität gelandet. Ich kann mir lebhaft vorstellen, welchem Druck Dechant Dürlinger ausgesetzt gewesen ist. Er ist für mich trotzdem ein Held. Das Seltsame ist leider, dass die erbittertsten Verteidiger des christlichen Abendlandes diejenigen sind, denen die eigentliche Botschaft Christi am fernsten ist. Nächstenliebe wird bei dieser Art von Christentum pure Eigenliebe, Barmherzigkeit mutiert zu nacktem Egoismus. Jeder ist sich hier selbst der Nächste, denn Geiz ist geil.
In dieser verkehrten Welt wird Gutmenschentum zu einem Schimpfwort, Willkommenskultur zur Perversion und Wirtschaftsflüchtling zu einem Reizwort für Denunzianten, die außer Acht lassen, dass nur relativ Wohlhabende sich eine solche Flucht leisten können und es aus Todesangst auf sich nehmen, in Europa auf einem viel niedrigeren Standard, aber dafür in Sicherheit leben zu können. Wenn eine explizit christlich-soziale Ministerin Europa zur Festung umbauen will und nichts dabei findet, wenn die messerscharfen Blätter des sogenannten Stacheldrahtes gegen Verzweifelte eingesetzt werden, Hauptsache, die Bilder sind hässlich genug, wenn ein Bundeskanzler seine neueste Meinung nach der täglichen Lektüre der „Krone“adaptiert und wenn ein höchst eloquenter Jungminister Österreich zum Visegrád-Staat macht, ohne mangels Geschichtskenntnissen zu kapieren, dass er eben Europa und damit auch seine Zukunft demoliert, dann sind das die eigentlichen „hässlichen Bilder“. Dechant Dürlinger hat diesmal des lieben Friedens wegen aufgegeben – aber er hat dennoch die Hoffnung am Leben erhalten, dass es doch auch ein anderes Österreich gibt, auf das man stolz sein kann und für das man sich nicht genieren muss. Olaf Arne Jürgenssen