Lassen Sie die Zeit für sich arbeiten
Es klingt ein wenig extravagant – aber heute wollen wir Ihnen zeigen, wie Sie daheim Kaviar produzieren können. Mario Gamba hat es für uns bei Walter Grüll schon ausprobiert. Jetzt mag auch der Sternekoch Essen in Dosen.
SALZBURG. Normal rührt Mario Gamba in seinem Münchner Restaurant Acquarello kräftig um. Gamba und Acqua? An dieser Kombination erkennt man sofort: Eine gewisse Leidenschaft für das Wasser dürfte dem Koch von ganz oben mitgegeben worden sein. Kein Wunder, dass er sich beim Unterwasser-Papst Walter Grüll pudelwohl fühlte. Der europaweit medial gefeierte Fischhändler residiert ausgerechnet in einer ehemaligen Metzgerei in Grödig. Zwischen frischen Austern, Hummern, Huchen und Regenbogenforellen lässt sich Gamba heute in das Geheimnis der Gewinnung von Kaviar einweihen (siehe Rezept unten).
Den Preis von Kaviar gibt man übrigens meistens in Gramm an. Also für die Lappalie von 1,40 Euro bekommen Sie immerhin schon ein Gramm. So sprechen nur Gentleman. 1400 Euro pro Kilogramm klänge auch viel zu protzig. Ab einem Kilogramm sinkt der Preis sogar auf 1,20 Euro. Das muss man sich einmal vorstellen. Und dann hat Grüll noch weißen Kaviar im Angebot. Ein Kilo- gramm davon ist normal um 45.000 Euro erhältlich. Grüll grätscht mit einem Dumpingpreis von 14.000 Euro pro Kilogramm in den Markt. Warum? Weil er ein Händchen für Albino-Störe hat wie kein Zweiter. Jetzt sind alle hinter seinem Know-how her. Aber der Unterwasser-Papst macht es wie der Vatikan – oder wie der Fisch: Er schweigt.
„Man benötigt Erfahrung, Liebe und den Respekt zum Tier, die Genauigkeit bei der Ausführung und vor allem einen langen Atem“, sagt Grüll. Meer – Pardon: Mehr ist ihm nicht zu entlocken. Aus China etwa wird auch schon Kaviar aus merkwürdiger Produktion auf den Weltmarkt gespült. Dort werden Störe vielerorts in überdachten Warmwasserbecken gehalten und bereits nach vier oder fünf Jahren getötet, um an den Rogen zu kommen. Grülls Störe sind dagegen mindestens 14 bis 16 Jahre alt, bevor sie das Zeitliche segnen. Er gönnt ihnen auch eine zweite Ovulation. Soll heißen: Sie werden zwei Mal befruchtet. Womit er aber zugegebenermaßen nicht nur an das Wohlergehen der Fische denkt. Der Qualität des Kaviars tut das auch gut. „Beim Kaviar ist es wie in allen Bereichen des Lebens“, erklärt er. „Gut Ding braucht Weile.“Er könnte auch Goethe zitieren: „Der Weg ist das Ziel.“Oder eine Weisheit aus Kenia: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Er führt uns nun in einen Raum, in dem ein Stör auf Eis liegt. Der Fisch ist von majestätischer Schönheit. In diesem Raum treten sich auch regelmäßig TV-Teams und Fachjournalisten aus aller Welt gegenseitig auf die Füße. Es ist faszinierend, wie es Grüll gelang, sich nach der Matura gleich zwei Mal selbst neu zu erfinden. Ursprünglich war er ja Beamter bei der Landesregierung. Aber Fische hat er schon als Zwölfjähriger gezüchtet. Es ist deren stille Erhabenheit, die ihn schon immer in ihren Bann zog. Da sind sich Grüll und Gamba durchaus ähnlich. Für sie ist Stille in unserer Gesellschaft eine der letzten Konstanten, die ein Leben in Würde ermöglichen. Die beiden lernten sich kennen, weil Gamba ein Menü kreieren will, dass er recht bescheiden mit „Essen aus der Dose“betitelte. Kaviar soll da eine wichtige Rolle spielen. Kaviar ist die Götterspeise der Reichen und der Schönen. Und dass diese ausgerechnet von einem ehemaligen Beamten der Salzburger Landesregierung in einer Qualität produ- ziert wird, die weltweit als einzigartig gilt, das kann man ruhig als kurios bezeichnen. Vielleicht sollte der Mann schleunigst zurück in die Landesregierung gehen.
Grüll drückt Gamba aber lieber ein scharfes Messer in die Hand und zeigt deutlich auf jene Stelle der Bauchseite des Störs, wo er den Schnitt führen soll. Gamba macht das mit dem gebotenen Respekt und mit chirurgischer Präzision. In der geöffneten Bauchhöhle liegt ein Kilogramm Rogen vor uns. Wie ein Goldwäscher siebt Gamba die Fischeier in eine Schüssel. Dann werden sie nur noch gesalzen und verpackt. Ihr cremiges Aussehen verdanken sie übrigens der Tatsache, dass Grüll kein Borax hinzufügt. Frischer Kaviar ist im Gegensatz zum handelsüblichen, mit Borax behandelten Kaviar nur zwei Monate haltbar. Aber genau diesen frischen Geschmack wollen Sie ja auch. Noch dazu ist Borax bei falscher Dosierung ziemlich unbekömmlich. Wenn Sie es sich leichter machen wollen und keine Lust haben, Ihren eigenen Haus-Stör zu züchten, dann fragen Sie Grüll, ob er sich Zeit für Sie in seinem Betrieb nimmt. Aber lassen Sie sich Zeit – und ihm sowieso. Dann wird das was.